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Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Titel: Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Autoren: Jan Caeyers
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Großeltern in der Regel keine erzieherischen Aufgaben wahrnehmen, sind sie Kindern oft sympathischer als die Eltern. Das galt auch für Beethoven, der für seinen Großvater grenzenlose Bewunderung und Zuneigung empfand, obwohl er ihn kaum gekannt hatte – als Louis van Beethoven am Weihnachtsabend 1773 starb, war Ludwig gerade einmal drei Jahre alt. Beethoven pflegte seine idealisierenden «Erinnerungen» und hütete zeitlebens das repräsentative Porträt des Großvaters wie eine Reliquie; in jeder seiner zahllosen Wohnungen fand es einen Ehrenplatz. Lange kannte er keinen größeren Ehrgeiz, als in Louis’ Fußstapfen zu treten und Kapellmeister zu werden, am liebsten in Bonn, auf jeden Fall aber an einem angesehenen Hof. Es sollte anders kommen, dennoch blieb der Großvater für Beethoven immer als Vorbild präsent.

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    Christian Gottlob Neefe, der Mentor
    Dennoch fehlte noch so etwas wie ein Coach oder Mentor, der die Fähigkeiten des Nachwuchsmusikers in einer sinnvollen Richtung weiterentwickeln und geistig und praktisch auf ein höheres Niveau heben konnte. Man fand ihn in Person Christian Gottlob Neefes, der allgemein als Beethovens erster wirklicher Lehrer gilt. Allerdings lässt sich nur sehr schwer einschätzen, wie viel der junge Schüler in musikalisch-technischer Hinsicht tatsächlich von ihm gelernt hat. Neefes eigene Leistungen als Musiker – etwa als Komponist – waren nämlich eher gering. Er war ein musikalischer Autodidakt, der außerdem allzu sehr der Theorie zuneigte. Andererseits hatte Neefe erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Beethovens künstlerischem Temperament – im Geiste seiner eigenen intellektuellen Vorbilder –, und dank seiner Gewandtheit im Spiel der gesellschaftlichen Beziehungen und Netzwerke war er dem jungen Musiker vor allem zu Beginn seiner Karriere von Nutzen.
    Neefe wurde 1748 in Chemnitz geboren, studierte Jura in Leipzig und legte das Erste Staatsexamen ab; seine nachgerade autobiographische Examensarbeit schrieb er über die Frage: Ob ein Vater befugt sey, seinen Sohn zu enterben, wenn er sich dem Theater verschreybe. Neefe beantwortete diese Frage mit nein und setzte die Theorie in die Praxis um, indem er sich der Musik zuwandte. Mit Erfolg – unter anderem dank der Förderung durch Johann Adam Hiller, damals eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Leipziger Musiklebens. Hiller hatte sich auch einen Ruf als geistiger Vater des Singspiels erworben, einer neuen Gattung von halb gesprochener, halb gesungener musikalischer Komödie, die sehr schnell populär wurde, weil sie dem Bedürfnis nach einem eigenen deutschen Musiktheater entsprach. So landete Neefe in der Welt der Bühne und wurde nach einigen Zwischenstationen 1779 Musikdirektor der Großmann-Truppe, einer privaten Theatergesellschaft, die zuerst in Frankfurt und dann in Bonn spielte. 1782 wurde er zum Bonner Hoforganisten ernannt, wenig später war er vorübergehend Kapellmeister für Hof- und Kirchenmusik. Er war also ein vielbeschäftigter Mann, verdiente nicht schlecht und besaß gute Beziehungen.
    Die Leipziger Zeit war von großer Bedeutung für Neefes geistige Entwicklung. Leipzig war damals eine der interessantesten deutschen Städte. Die Messen machten die Stadt attraktiv für Bankiers und reiche Kaufleute aus ganz Europa; sie hatte ein dynamisches Flair. Die alten aristokratischen Sitten und Gewohnheiten waren in diesem «Klein-Paris» längst von einem neuen Lebensstil abgelöst worden; die Bürger waren modern – «galant» – gekleidet und überhaupt höchst anfällig für Moden und Manien. Auch die Freizeitgestaltung war von diesem neuen Geist bestimmt. Man besuchte Theater oder Konzerte, weil man Lust dazu hatte – und nicht um irgendwelcher Konventionen einer überkommenen Ordnung willen. Man bezahlte Eintritt und erwartete deshalb zu Recht, dass einem etwas geboten wurde, das man verstehen konnte. Das Singspiel war dafür genau das Richtige. Statt die Geduld der Zuschauer mit antiken Göttern, Königen und abstrakten Prinzipien zu strapazieren, erzählte es aus dem Leben gegriffene und in verständlicher Sprache gespielte und gesungene Geschichten von gewöhnlichen, verletzlichen Menschen aus Fleisch und Blut.
    In Leipzig wehte also ein frischer Wind, ganz anders als beispielsweise in Dresden, wo noch der Hof den Ton angab und der bürgerliche Alltag von einer überlebten aristokratischen Etikette beherrscht war. Leipzig war auch die Stadt einer neuen Kunstlehre. Adam
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