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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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Selbstreplikation ein informationsverarbeitender Mechanismus vorausgesetzt, der einerseits ungewöhnlich einfach ist, andererseits mit hoher Effizienz und geringer Irrtumsrate arbeitet. Es bleibt zu klären, wie eine solche nahezu perfekte Molekularmaschinerie der Selbstreplikation in der präbiotischen Evolution entstehen konnte.
    Es lassen sich also notwendige Merkmale des Lebens wie z.B. Stoffwechsel (Metabolismus), Selbstreproduktion, Selektion und Mutation präzisieren. {68} Wie schwierig aber die begriffliche Abgrenzung des Lebens ist, zeigen z.B. die Viren. Sie sind Organismen insofern, als sie aus komplizierten organischen Molekülen wie Nukleinsäuren und Proteinen bestehen und genetische Informationen zur Selbstreproduktion besitzen. Andererseits sind sie zu einfach gebaut, um selbständig leben und sich vermehren zu können. Nur im Kontext einer lebenden Zelle kann sich ein Virusteilchen vermehren lassen.
    Für die Evolution höherer Lebensformen ist die Zelldifferenzierung grundlegend. Bereits Anfang der 50er Jahre hatte der englische Logiker und Mathematiker Alan M. Turing ein Modell zur Erklärung der Zelldifferenzierung lebender Organismen vorgeschlagen. {69} Er ging von zwei separierten Zellen 1 und 2 aus, die in ihren Funktionen und chemischen Prozessen ununterscheidbar sind. Wenn daher in einer Zelle eine Molekülsorte erzeugt bzw. abgebaut wird, so wird sie schließlich in beiden Zellen mit gleicher Konzentration vorliegen. Es liegt also eine symmetrische Gleichgewichtssituation vor. Werden nun beide Zellen für einen Stoffwechselaus-tausch gekoppelt, kann der Gleichgewichtszustand beider Zellen instabil werden. Eine geringe Anfangsschwankung bei der Produktion der Molekülsorte führt schließlich zu einer ungleichmäßigen Verteilung und damit einer Symmetriebrechung, die sich makroskopisch in unterschiedlichen Funktionen der Zelle zeigen kann. Daran schließen heutige mathematische Modelle der Darwinschen Evolution mit komplexen Systemen an. {70}
    Unabhängig von den Ursprungsfragen des Lebens erlaubt die biochemische Analyse der genetischen Erbinformation Rückschlüsse auf die Verwandtschaft und historische Evolution der Organismen. Neben den traditionellen Methoden der Paläontologie und vergleichenden Morphologie, wie sie nach Darwin verwendet wurden, liegen nun präzisere Prüfverfahren der Evolutionstheorie auf molekularer Grundlage vor. Für verwandte Gene lassen sich aus den Vorgängern jeweils ,Urgene‘ berechnen und Stammbäume der genetischen Evolution aufstellen. Es stellt sich die Frage, ob dieses Wissen auch auf die Zukunft der Evolution angewendet werden kann und soll, um künstliche ,Evolution‘ wie z.B. im Rahmen der Gentechnologie einzuleiten.
     
     
3. Materie und die Emergenz von Bewußtsein
     
    Die heutigen Unterscheidungen von ,Materie‘, ,Bewußtsein‘, ,Geist‘ u.a. orientieren sich häufig an den Forschungsstandards der Künstlichen Intelligenz (KI), Neuro- und Kognitionswissenschaften. {71} Das Forschungsprogramm der KI steht in der Tradition von Leibnizens Forderung nach einer Me-chanisierung des Denkens, dessen logisch-mathematische Grundlagen in der Kalkültheorie von Frege, Russell, Hubert und Gödel gelegt wurden. Turing und von Neumann präzisierten Algorithmen als programmgesteuerte Computer. Von diesem Standpunkt aus war es naheliegend, das Gehirn der Computerhardware und das Denken der Computersoftware entsprechen zu lassen. Mentale Zustände sollten also durch symbolische Datenstrukturen, mentale Prozesse durch Algorithmen repräsentiert werden. Allerdings erweist sich das Konzept eines programmgesteuerten Computers nur begrenzt tauglich. Umfangreiche Rechenprozesse bewältigt der Computer zwar spielend, während die Bewältigung von komplexen Wahrnehmungs- und Bewegungskoordinationen, die ein Gehirn „im Schlaf“ löst, an unüberwindbaren Programmierproblemen scheitert.
    Im Rahmen der Neurobiologie läßt sich das Gehirn als ein komplexes System von vielen Milliarden Nervenzellen (Neuronen) auffassen, die sich in Phasenübergängen vernetzen und neue Muster durch Selbstorganisation erzeugen. {72} Diese makroskopischen Verschaltungsmuster können äußeren Wahrnehmungen, emotionalen Erregungszuständen oder Gedanken entsprechen. Es ist ein altes erkenntnistheoretisches Problem, wie sich ein Abbild der Außenwelt im Gehirn bildet. Erkenntnistheoretiker wie Helmholtz ahnten bereits aufgrund ihres physiologischen Wissens, daß der Erkenntnisvorgang
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