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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie
Autoren: Serge Embacher
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fruchtbares Verhältnis gerückt wären. Der ungehemmte Individualismus, der längst in einen aggressiven Egoismus umgeschlagen ist, muss verdrängt werden zugunsten einer neuen, freiheitlichen Idee einer demokratischen Solidargemeinschaft.
    Nun mag es angesichts der aktuellen Situation kühn erscheinen, über neue Perspektiven für einen gesellschaftlichen Aufbruch zu mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit und mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt nachzudenken. Doch genau darum soll es hier gehen. Denn die moderne Gesellschaft ist auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, aus dem Hier und Jetzt neue Zukunftsentwürfe zu entwickeln und ihre Verwirklichung zu wagen. Anders wäre die auf dynamische Entwicklung angewiesene Demokratie nicht überlebensfähig. Demokratie heißt Kontroverse, heißt Bewegung, heißt Veränderung. Darin liegt die Chance, und hier findet das Thema Bürgergesellschaft seinen natürlichen Ort. Die »Baustelle Demokratie« braucht bürgergesellschaftliche Ingenieure, Gestalter und auch Bauarbeiter, und diese brauchen politische Rückendeckung durch Akteure, die die Bedeutung des Themas verstanden haben und die heute noch – auch das muss gesagt werden – ganz klar in der Unterzahl sind. Aktuell sind wir noch beherrscht von beschleunigter gesellschaftlicher Hyperaktivität und einer aufgeklärten Ratlosigkeit, die sich in politischer und moralischer Unklarheit, in Parteien- und Politikverdruss, im berühmt-berüchtigten »Wutbürgertum«, aber auch in einer wahrlich erschreckenden Renaissance von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus zeigt.
    Vor diesem Hintergrund geht es um die Frage, wie eine neue Perspektive für gesellschaftlichen Zusammenhalt im 21. Jahrhundert aussehen müsste. Den Dreh- und Angelpunkt bilden hier bürgerschaftliches Engagement und Bürgergesellschaft. Doch gilt – bei aller rhetorischen Wertschätzung – das Thema Bürgergesellschaft nach wie vor als Orchideenfach der Politik. Die herausragende Bedeutung der Bürgergesellschaft und der sie tragenden bürgergesellschaftlichen Handlungslogik ist bislang erst in Ansätzen erkannt worden und einem breiteren Publikum noch weitgehend verschlossen. Das erkennt man nicht nur an der fehlenden Präsenz des Themas in den Medien, sondern auch am politischen Prozess der Gestaltung von Rahmenbedingungen, welcher sich – nach anfänglichem Schwung seit Ende der 1990er-Jahre – gerade in jüngster Zeit eher müde und zäh dahinschleppt. Weder konnte sich bislang das »Leitbild Bürgergesellschaft« (Bürsch 2006) als beispielgebend für die Gesamtgesellschaft durchsetzen, noch sind aus der im vergangenen Jahr auf den Weg gebrachten »Nationalen Engagementstrategie der Bundesregierung« ernsthafte Impulse für eine echte Aufwertung der Bürgergesellschaft zu erwarten.
    Wie alles ist auch diese Entwicklung kein Zufall. Die Konjunktur der Bürgergesellschaft und des Engagements droht nämlich just in dem Moment zu erlahmen, in dem es an der Zeit wäre, mit dem Thema politisch ernst zu machen: Der Staat und seine Akteure müssten sich – wie es schon in den 1930er-Jahren der sozialdemokratische Staatsrechtslehrer Hermann Heller formulierte – selbst aktivieren (Heller 1934) und konsequent öffnen für mehr Bürgerbeteiligung, Transparenz und echte Partizipationsprozesse; die Wirtschaft und ihre Akteure hätten anzuerkennen, dass die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung nicht »nice to have« ist, sondern integraler Bestandteil jedes Geschäftsmodells sein muss. In einer Situation massiv eingeschränkter Handlungsspielräume (Staat) und verschärfter globaler Konkurrenz (Wirtschaft) fallen solche Einsichten freilich schwer. Dabei birgt gerade das Moment der Krise die Chance eines Wandels in sich. In diesem Sinne gilt es, das bürgerschaftliche Engagement so zu beschreiben, dass sich daraus Funken für echte gesellschaftliche Innovationen schlagen lassen.
    Demokratie ist ein dynamischer und veränderlicher Prozess der Willensbildung und Entscheidungsfindung. Ohne neue und vernünftige Verfahren der Partizipation und ohne den Geist der sozialen Teilhabe wird der demokratische Prozess künftig noch mehr ins Stocken geraten. Rapide sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung für Politik und politische Akteure ist die erste und heute schon deutlich sichtbare Folge – von den sozialen Verwerfungen und billigen Populismen, die in der Folge drohen, einmal abgesehen. Das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und
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