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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Mädchen geküßt, Daniel?«
    Ich hatte einen Kloß im Hals, und der Speichel wurde mir zu Sägemehl.
»Na ja, du bist ja auch noch sehr jung. Aber es ist genau dieses Gefühl, dieser Funke des ersten Mals, den man nicht vergißt. Wir leben in einer Schattenwelt, Daniel, und Magie ist ein rares Gut. Dieser Roman hat mich gelehrt, daß ich durch Lesen mehr und intensiver leben, daß Lesen mir das verlorene Sehen wiedergeben konnte. Allein deshalb hat dieses Buch, das keinem etwas bedeutete, mein Leben verändert.«
An diesem Punkt konnte ich nur noch offenen Mundes staunen, ganz diesem weiblichen Wesen ausgeliefert, dessen Worten und Reizen ich nicht widerstehen konnte noch wollte. Ich wünschte, sie möchte nie mehr zu sprechen aufhören, ihre Stimme möchte mich für immer einhüllen und ihr Onkel würde nie zurückkommen und den Zauber dieses Augenblicks brechen, der nur mir gehörte.
»Jahrelang habe ich weitere Bücher von Carax gesucht«, fuhr Clara fort. »Ich habe mich in Bibliotheken, Buchhandlungen, Schulen erkundigt – immer umsonst. Niemand hatte von ihm oder seinen Büchern gehört. Ich konnte es nicht verstehen. Später kam Monsieur Roquefort eine seltsame Geschichte über einen Mann zu Ohren, der auf der Suche nach Werken von Julián Carax Buchhandlungen und Bibliotheken abklapperte und sie, wenn er welche fand, kaufte, stahl oder sich sonstwie aneignete und gleich danach verbrannte. Niemand wußte, wer er war noch warum er das tat. Ein weiteres Geheimnis, das zum eigentlichen Carax-Geheimnis hinzukam. Mit der Zeit verspürte meine Mutter den Wunsch, nach Spanien zurückzukehren. Sie war krank, und ihr Zuhause und ihre Welt waren immer Barcelona gewesen. Insgeheim nährte ich die Hoffnung, hier etwas über Carax zu erfahren, schließlich und endlich war Barcelona die Stadt, wo er geboren worden und von wo er zu Beginn des Krieges für immer verschwunden war. Aber ich habe nichts gefunden als tote Gleise, obwohl mir mein Onkel behilflich war. Meiner Mutter ist bei ihrer eigenen Suche etwas Vergleichbares widerfahren. Das Barcelona, das sie bei ihrer Rückkunft vorfand, war nicht mehr das, das sie verlassen hatte. Sie sah sich einer Stadt der Dunkelheit gegenüber, in der es meinen Vater nicht mehr gab, die aber noch immer verhext war durch sein Andenken und die Erinnerung an ihn in jedem Winkel. Als reichte es ihr mit diesem Elend noch nicht, heuerte sie einen Mann an, der herausfinden sollte, was genau aus meinem Vater geworden war. Nach monatelangen Ermittlungen konnte er als einziges eine kaputte Armbanduhr und den Namen des Mannes beibringen, der meinen Vater in den Gräben des Kastells des Montjuïc getötet hatte. Er hieß Fumero, Javier Fumero. Man sagte uns, dieser Mann – und er war nicht der einzige – habe als vom Anarchistischen Verband Spaniens gedungener Killer angefangen und mit Anarchisten, Kommunisten und Faschisten geflirtet, dabei alle getäuscht und seine Dienste dem Meistbietenden verkauft, und nach dem Fall Barcelonas habe er sich auf die Seite des Siegers geschlagen und sei ins Polizeikorps eingetreten. Heute ist er ein berüchtigter, ordengeschmückter Polizeiinspektor. An meinen Vater erinnert sich niemand mehr. Wie du dir vorstellen kannst, ist meine Mutter innerhalb weniger Monate erloschen. Die Ärzte haben gesagt, es sei das Herz, und ich glaube, ausnahmsweise haben sie ins Schwarze getroffen. Nach ihrem Tod bin ich zu meinem Onkel Gustavo gezogen, dem einzigen Verwandten, der meiner Mutter in Barcelona noch geblieben war. Ich habe ihn angebetet, weil er mir immer Bücher zum Geschenk machte, wenn er uns besuchte. Er ist diese ganzen Jahre meine einzige Familie und mein bester Freund gewesen. Auch wenn er dir ein wenig arrogant vorkommen mag, im Grunde ist er eine Seele von Mensch. Selbst wenn er vor Müdigkeit umfällt, liest er mir jeden Abend ohne Ausnahme eine Weile vor.«
»Wenn Sie möchten, könnte auch ich Ihnen vorlesen«, stieß ich hervor, bereute meine Verwegenheit aber auf der Stelle, überzeugt, für Clara könne meine Gesellschaft höchstens eine Belästigung, wenn nicht gar ein Witz sein.
»Danke, Daniel«, antwortete sie. »Es würde mich sehr freuen.«
»Sobald Sie mögen.«
Sie nickte langsam und suchte mich mit ihrem Lächeln.
»Bedauerlicherweise habe ich dieses Exemplar des Roten Hauses nicht mehr«, sagte sie. »Monsieur Roquefort hat sich geweigert, es herzugeben. Ich könnte versuchen, dir die Handlung zu erzählen, aber das wäre, als beschriebe
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