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Bankster

Bankster

Titel: Bankster
Autoren: Gudmundson
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kurzlebiger Sonnenschein durchgebrochen ist. Das direkte Sonnenlicht ließ mich an den Sommer denken, vor allem daran, wie weit er noch weg ist. An Sommerabenden steht die Sonne im Norden, aber als Harpa und ich heute zum Kaffeetrinken gegangen sind, hat sie sich genau im Süden gezeigt. Solange uns netterweise keines der vielen Kinder im Café dazwischengefunkt hat, konnten wir uns über unwichtige Dinge austauschen, ansonsten haben wir geschwiegen, und ich musste gegen die Unruhe ankämpfen, die mich bei Kinderweinen immer befällt.
    Tagebuch?

08.11. – Samstag

    Ungetrübter Sonnenschein, scharfer Wind und Frost – perfektes Fensterwetter.
    Ich bin vorhin trotzdem nach draußen gegangen, zu Ríkið, um Wein fürs Abendessen zu kaufen. Ich habe mich vor den Regalen in Position gebracht, mich von Australien bis nach Frankreich vorgetastet mit einem Zwischenstopp in Italien und Spanien. Nachdem ich einmal durch war und nichts Passendes gefunden hatte, kratzte ich mich am Kopf und guckte unsicher durch die Gegend. Sofort kam ein cleverer Angestellter und bot mir seine Hilfe an, die ich ablehnte, ohne zu wissen, warum. Er bezog wieder seine Stellung am Sektregal, und mir wurde bewusst, dass ich mitten an einem Samstag der einzige Kunde im Ríkið an der Austurstræti war, und musste laut auflachen. Lange habe ich mich allerdings nicht gewundert, denn fast im gleichen Augenblick, in dem ich diese komische Entdeckung machte, hörte ich draußen eine laute Stimme. Ich guckte durch die Glaswand und sah, dass der Parlamentsplatz Austurvöllur voller eingemummelter Menschen mit Transparenten war, die ich nicht lesen konnte.
    Ich wandte mich wieder dem Rotwein zu, ging direkt Richtung Frankreich. Da sind die Etiketten am schönsten, oft ein Schloss mit Zufahrt und Tor, die Schrift immer vertrauenerweckend und mit anmaßend begrenzten Informationen über den Inhalt. Es kam Bewegung in die Proteste, Schlachtrufe und Jubel schallten über den Platz. Ich trat näher ans Regal heran, um die Bilder auf den Etiketten besser sehen zu können. Es gab sicher einige, die in genau solchen Schlössern gewohnt hatten, umringt von Bediensteten, bevor ihre Köpfe in blutigen Bastkörben gelandet waren.
    Während in mir das Luxusleben im Frankreich des 18. Jahrhunderts Wiederauferstehung feierte, klingelte das Handy, Harpa teilte mir mit, dass sie Rindfleisch gekauft habe. Wir hatten mittags von Lamm gesprochen, und Lamm hatte ich im Hinterkopf, als ich die Weine durchgegangen war. Aber da dort vor mir all diese feinen französischen Weine mit Rindskopf auf dem Preisschild standen, entschied ich mich schließlich für je zwei Flaschen von vier Sorten, acht Flaschen Revolutionswein. Der Preis spielte keine Rolle, bis Harpa mit dem Essen und Blumen nach Hause kam und fragte, warum ich denn keinen italienischen Wein gekauft hätte.

9.11. – Sonntag

    Alle waren gut drauf, und das Essen ist großartig gelaufen. B. und T. hatten eine Flasche alten Cognac dabei und die anderen einen Blumenstrauß. Blumen und brennende Kerzen in allen Ecken. Zuerst lief Emilíana Torrini, später Skunk Anansie. Gegen Mitternacht kamen Mutter und Tochter nach oben, um sich über den Lärm zu beschweren.
    Die Wirtschaft war kaum Thema, nur ein paar Minuten lang, als wir uns am frühen Abend in dieses Themengebiet verirrt hatten, aber einer von uns hat die Orientierung wiedergefunden und das Gespräch zurück auf unsere Italienreisen gelenkt. Die Zukunft war für mich schon so lange Nummer eins, zwei und drei, dass ich ganz vergessen hatte, wie schön es sein kann, wieder einmal in den Rückspiegel zu blicken. Jetzt ist auch genau der richtige Zeitpunkt, um die Vergangenheit aufleben zu lassen und sich zu erinnern, allein oder mit anderen in schönen Erinnerungen zu schwelgen. Sich frühere Skireisen nach Italien ins Gedächtnis zu rufen, ist fast so schön, wie eine zu machen.
    Gerade bin ich mit dem Aufräumen fertig geworden, habe alles in den Schränken und Schubladen verstaut, und trotzdem ist noch nicht Mittag. Harpa hat leise geschnarcht, als ich aufgestanden bin. Geschnarcht? Es sollte ein anderes Wort für ein so leises Schnarchen geben, für ein so friedvolles Atemholgeräusch mit sanftem Ausklang. Vielleicht nenne ich es »schnummern«, bis mir etwas anderes einfällt – ja, Harpa hat geschnummert, als ich aufgestanden bin, nachdem ich eine halbe Stunde gelegen und gehorcht und nachgedacht und befunden hatte, dass alles so ist, wie es sein sollte,
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