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Bangkok Tattoo

Bangkok Tattoo

Titel: Bangkok Tattoo
Autoren: John Burdett
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ich gleich, was der Mann von der Spurensicherung meinte: In ihrem Eifer haben die Spezialisten die Leiche umgedreht, und nun starren alle mich an, wie ich sie betrachte. Ich weiß nicht, ob ich mich übergeben oder mich am Kopf kratzen soll. Letztlich bin ich zu verblüfft, um überhaupt etwas zu tun. Chanya fällt mir ein, wie sie sich mir an diesem Morgen präsentierte: kühl und ruhig, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Kopfschüttelnd nehme ich den Hörer vom Telefon und lasse mich mit Vikorn im Polizeirevier verbinden. Ausnahmsweise hält er sich tatsächlich in seinem Büro auf.
    »Die Jungs von der Spurensicherung haben ihn umgedreht.«
    »Und?«
    »Man hat ihm die Haut abgezogen. Von den Schultern bis knapp überm Hintern. Sein Rücken ist nur noch ein blutiger Klumpen.«
    Langes Schweigen, das darauf hindeutet, daß auch Vikorn verblüfft ist, dann: »Sag ihnen, sie sollen ihn wieder so hinlegen, wie sie ihn gefunden haben. Gibt’s Fotos von seinem Rücken?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sie sollen die Bilder vernichten.« Er legt auf.
    Während ich zusehe, wie sie Turner wieder umdrehen, überlege ich. Farang, denke ich, Frankreich, Deutschland, England, Japan, die Vereinigten Staaten, G8, Dekadenz. Urplötzlich ist der Fall der Thai-Psychologie entzogen, und ich bin zurückgeworfen auf meine im Ausland erworbenen kulturellen Einsichten. Die Armen morden ehrlich, aus Leidenschaft, des Grundes, Geldes oder Aberglaubens willen, und so interpretierte ich diese Kastration anfangs durchaus als der Dritte-Welt-Tradition entsprechenden Ausdruck von Wut, Angst oder Gier. (Offen gestanden empfinde ich den abgetrennten Penis als genauso Thaitypisch wie Tom-Yam- Suppe.) Die Häutung jedoch, diese überflüssige Dreingabe, läßt sich definitiv auf eine Gesellschaft mit einer breiten, wohlhabenden und gelangweilten Mittelschicht zurückführen. Was zum Teufel ist in Amerika mit Chanya passiert?
     
    Den nächsten Tag verbringe ich mit der mühseligen Aufgabe, zusammen mit Lek die Leiche verschwinden zu lassen. Obwohl Vikorn die Pathologen informiert und eine Blitzautopsie angeordnet hat (der Mann ist durch den Blutverlust aufgrund der Kastration und einer ungewöhnlich großen Stichwunde in Unterleib und Bauch gestorben – Überraschung, Überraschung –; die fehlende Rückenhaut wird mit keinem Wort erwähnt), gibt es jede Menge Formulare auszufüllen, Leute zu instruieren und argwöhnische Blicke abzuwehren, und die Krematoriumsangestellten sind ziemlich lästig. Sie haben gemerkt, daß etwas nicht stimmt, und verlangen Bestechungsgelder in einer Höhe, die ich nicht ohne Nachfrage zahlen kann, also wähle ich Vikorns Handynummer. Ich muß gestehen, es macht mir Freude, ihren Gesichtsausdruck zu sehen, als er mit ihnen fertig ist, aber der Tag gestaltet sich anstrengend, und ich treffe Chanya erst wieder am frühen Abend, kurz vor Öffnung der Bar. Sie hätte Schauspielerin werden sollen, denn ich erkenne sie kaum wieder. Nicht nur, daß ihre Haare jetzt kurz und malvenfarben stachelig vom Kopf abstehen und ihr Gesicht völlig anders geschminkt ist – nein, sie hat ihre gesamte Persönlichkeit verändert, trägt einen langen schwarzen Rock, eine weiße Spitzenbluse im Stil der fünfziger Jahre und dazu flache Schuhe. Sie gibt die spröde Thai-Schullehrerin, überzeugend bis ins kleinste Detail. Als sie eine ganz und gar unmoderne Brille mit Kassengestell aus der Handtasche holt, schüttle ich nur noch bewundernd den Kopf. Sie ist gekommen, um sich zu verabschieden. Wir halten uns einen Moment lang an den Händen und schauen einander tief in die Augen. Es überrascht mich nicht, daß sie in der Lage ist, meine Gedanken zu lesen.
    »Es ist nicht so, wie du denkst, Sonchai. Das sollst du wissen.«
    »Gut.«
    Schweigen. »In den Staaten habe ich Tagebuch geführt. Vielleicht zeige ich dir das eines Tages.«
    Sie küßt mich keusch auf die Wange, zwinkert mir ein letztes Mal zu und verschwindet mit dem Versprechen, von Zeit zu Zeit anzurufen, um zu fragen, ob die Luft rein ist.
    Ein paar Minuten später gesellt sich meine Mutter zu mir. Sie holt ein Bier aus dem Kühlfach, und ich setze mich mit ihr an einen der Tische, wo sie sich eine Marlboro Red anzündet und ich ihr über die Entwicklungen in dem Fall berichte. Am Ende sage ich: »Mutter, du kennst dich in solchen Dingen am besten aus. Was bringt ein Mädchen wie Chanya dazu, so auszurasten?«
    Sie betrachtet nachdenklich die Zigarette, während sie ihren
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