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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman
Autoren: Heyne
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hat. Timmy ist dabei, und ich muss sofort an ihm schnüffeln und herausfinden, ob er immer noch nach Kinderkotze riecht. Mittlerweile überwiegt die Frühlingsfrische, aber ich meine, noch ein kleines bisschen Jahrzehnte alte Leberwurst zu wittern. Ich kann nicht anders, als zu lächeln und ein naives, kleines Glück in mir zu spüren.
    »Ach, Edo. Schau mal, jetzt sind wir so weit gekommen. Wir haben diese tolle Wohnung und bald unser Baby. Da kann ein bisschen Katzenpipi doch nicht verhindern, dass wir endlich glücklich sein können«, sage ich mit dem Zauber des Augenblicks in mir. »Endlich sind wir angekommen.«
    Und dann stellt Edo doch noch eine Frage.
    Die erste seit langem.
    Eine, die sich in mein Hirn frisst wie ein Brandeisen in einen dicken Kuhhintern. Eine, die mich sogar davon ablenkt, dass Edo mir den frühlingsfrischen Timmy aus der Hand reißt und in die Pfütze wirft, die uns Muschi als Zeichen ihres Protestes hinterlassen hat.
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir wirklich immer noch zusammen wären, wenn du nicht schwanger wärst?«
    Und mit dieser Frage wird es schwarz um mich herum.
    Und dann höre ich eine Stimme. Sie kommt aus dem Nichts und ist mir völlig unbekannt. Es könnte Gott sein. Oder der Typ, der die Ansagen in der U-Bahn macht. »Puppe, ich werde dir jetzt die Wahrheit sagen: Es gibt keinen Weihnachtsmann!«
    »O«, sage ich. »Okay.«
    »Okay? Puppe, dann ist das nicht die ganze Wahrheit. Es gibt einen Weihnachtsmann, aber der ist in Wirklichkeit eine Frau. Und die ist schwarz. Und sie ist tot. Ermordet. Auf grausamste Weise erstochen und niedergemetzelt. Außerdem hat man ihr die Eingeweide aus dem Leib gezerrt und sie gekocht. In Rotweinsud.« Und dann habe ich plötzlich einen Teller in der Hand. »Und jetzt iss!«
    Dann wird es wieder hell, und ich will schon aufatmen, aber es gibt keinen Grund dazu. Der Moment ist immer noch da, der fragende, fast ungläubige Blick von Edo, der mich durchsticht, mich niedermetzelt, mir die Eingeweide aus dem Leib zerrt und sie kocht. In Rotweinsud. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich glaube, ich bin tot. Ich muss ja tot sein, so ganz ohne Eingeweide.
    »Guck nicht so. Ich würde dich ja nicht hängenlassen. In dieser Situation«, sagt Edo schließlich, sein Ton ist versöhnlich. »Vielleicht kommt die Liebe eben ein bisschen später. Es wird wohl alles seinen Grund haben. Ich glaube, Gott weiß schon, was er tut.«
    »Wow«, sage ich, weil ich erstaunt bin, dass ich doch noch lebe. Auch ohne Eingeweide. Und weil Edo mich nie hängenlassen würde. In dieser Situation . »Das ist, ja, das ist nett von dir.«
    Er nickt. »Also, welche Kiste soll ich jetzt auspacken?« Wow. Er will jetzt tatsächlich eine Kiste auspacken! Um unsere Wohnung fertig einzuräumen! In der wir mit unserem Kind leben werden! Zusammen! Obwohl wir eigentlich gar nicht mehr zusammen wären, wenn er es sich aussuchen könnte!
    Wow. Und nochmal wow, weil es sich anfühlt, als wäre dies ein verdammter Zeitlupen-Moment! Natürlich keiner von den guten. Er will einfach nicht vergehen. Wow. Ich muss etwas dagegen tun. Und zwar sofort! Also fange ich an zu schreien und ziehe dabei wahllos Spielzeug aus der Kiste. Josi, die Puppe mit dem kohlkopfförmigen Schädel und den braunen Wollhaaren, Hansi, der neonrote Hase, und Kurt, der irgendwas Undefinierbares, aber wahrscheinlich ein Schweinepferd ist. Sie können alle nichts dafür und fliegen trotzdem durch den Raum, während ich nicht aufhören kann zu schreien. Edo zerrt an dem Gummihammer, von dem ich als Baby sämtliche Farbe abgekaut hatte, als ich damit auf ihn einschlage. Es kann ihm nicht wehtun, das Gummi gibt nach und macht diese lustigen Quietschgeräusche, die man aber unter meinem Geschrei kaum mehr wahrnehmen kann.
    »Lass das!«, ruft er und andere Dinge, aber ich schreie immer noch und bekomme sie nicht mit. Ich weiß nicht, wie lange das so geht und wann er es endlich schafft, mir den Gummihammer abzuringen, aber irgendwann stehen wir uns einfach nur noch gegenüber. Kein Ton kommt mehr aus mir raus.
    »Mensch, Puppe«, sagt Edo.
    »Gib mir meinen Gummihammer!«, krächze ich. Mein Hals tut weh.
    »Jetzt beruhigst du dich erst mal.«
    »Mein! Gummihammer!«
    »Puppe.«
    Und dann fange ich wieder an zu schreien. Nicht mehr ganz so laut und kraftvoll, aber Edo rückt endlich den Hammer raus. Dann stehen wir uns wieder gegenüber, und es ist wieder still.
    »Du bist so ein Arschloch«, flüstere ich,
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