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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla
Autoren: Sobo Swobodnik
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Eine absolute Null. Nur ein Mal, wenn er nur ein Mal was sagen könnte, aber vergiss es. »Du...«, hatte er ganz leise angefangen, sodass Agnes gut zuhören musste, um ihn überhaupt zu verstehen. Aber das schien ihr egal gewesen zu sein. War ihm schon wieder ins Wort gefallen und hatte gezischt: »Ich habe die Reise nun mal für zwei Personen gewonnen!«
    Selber Schuld, dachte Plotek jetzt, hätte sie eben nicht mitgemacht bei diesem blöden Dosensuppen-Preisausschreiben. Plotek machte nie mit. Bei keinem Preisausschreiben.
    Früher schon. Früher, als er noch am Theater war, hatte er jeden Samstag Lotto gespielt. Und manchmal auch Toto. Auch mal Glücksspirale. Aber gewonnen hatte er nie etwas. Wenn man nicht gewinnt, braucht man auch nicht mehr zu spielen, dachte er sich irgendwann. Und hatte nicht mehr gespielt. Obwohl das so auch nicht ganz stimmte. Die meisten spielen ja nicht, um zu gewinnen. Sondern weil sie gerne spielen. Allein die Möglichkeit und der Gedanke, von heute auf morgen einen Batzen Geld auf dem Konto zu haben, war die paar Euro für die Kreuze wert. Weil, im Kopf gewinnt jeder – bis zur Auslosung. In Gedanken wird der Porsche bestellt, die Villa eingerichtet, Champagner kübelweise gesoffen, Schöner Wohnen-Kataloge werden gewälzt und langbeinige junge Frauen mit überdimensionierten Brüsten auf Rund-um-die-Uhr-Partys eingeladen. Nach der Ziehung ist die Enttäuschung zwar groß, aber nur für ein paar Augenblicke, denn die nächsten angekreuzten Zahlen lassen gleich wieder einen achtzylindrigen Porsche-Motor aufheulen und langbeinige Weiber die Nervenbahnen entlangspazieren. Natürlich durchschaut ein halbwegs intelligenter Mensch dieses armselige Spiel aus Selbsttäuschung, Wunschdenken und ungestillter Hoffnung. Plotek auch. Also hat er keine Kreuze mehr gemacht und dafür ein paar Weißbiere mehr getrunken. Da surrt dann zwar kein Porsche-Motor im Kopf, langbeinige Frauen auch nicht, aber die Nervenbahnen werden im Rausch zumindest deutschen Autobahnen gleich.
    Anders Agnes. Die hat schon oft bei Preisausschreiben mitgespielt. Und jetzt auch gewonnen.
    »Und du gehst mit«, sagte sie, als wollte sie ihm zu verstehen geben, dass er selbst Schuld habe. »Hättest dir eben eine andere Freundin gesucht.«
    »Ich ... äh ...«, setzte Plotek noch einmal an. Bevor er aber etwas halbwegs Verständliches zustande bringen konnte, unterbrach ihn Agnes schon wieder.
    »DU! Du hast mich schon einmal ausgetrickst, letztes Weihnachten, und dich nach Karlsbad verdrückt. Kannst dich noch erinnern, was?!«
    Natürlich konnte sich Plotek erinnern. An alles. Obwohl er sich gar nicht erinnern wollte, an nichts. Was vorbei ist, ist vorbei, hätte er jetzt am liebsten gesagt. Und die Erinnerung ist wie ein Sack voller Flöhe, macht man ihn auf, kratzt man sich ständig. Und wer will das schon? Plotek nicht. Plotek erinnerte sich nicht gern, weder an letztes Weihnachten noch an vorletztes, an gar kein Weihnachten überhaupt. Und auch an sonst nichts. Weil jede Erinnerung immer weiter zurückführte und zwangsläufig in der Kindheit endete. Und das bedeutete Lauterbach, Härzfeld, Ostalb – Katastrophe. Das klingt vielleicht so dahingesagt. War aber in Wirklichkeit noch schlimmer. Für Plotek. Für Plotek war das Schlimmste die Erinnerung und die Vergangenheit. Die Erinnerung an die Vergangenheit. Nur im Jetzt leben, das wär’s. Aber vergiss es. Wer konnte das schon. Ein zenbuddhistischer Mönch im Himalaja-Gebirge vielleicht. Oder ein pakistanischer Sufi mit dem Mund an der Wasserpfeife. Da man weder das eine noch das andere war, musste man sich, ob man wollte oder nicht, immer und immer wieder mit dem Erlebten herumschlagen. Bis zum Tod. Auch mit der Kindheit, Vater, Mutter, Bruder, Schweinezucht und Landwirtschaft. Das ist dann wie mit 100 Passagieren in 10.000 Meter Höhe in einer Lufthansa ficken.
    »Dieses Mal entwischst DU mir nicht«, sagte Agnes und schlug wieder auf den Tisch, sodass dieser schmerzvoll ächzte. »Dieses Mal kommst du mit, und wenn ich dich eigenhändig nach Hamburg trage.«
    Das wäre Plotek jetzt auch lieber gewesen, als in diesem stählernen Vogel zu sitzen.
    Natürlich hatte er vorgeschlagen, mit dem Zug zu fahren. Aber vergiss es.
    »Die Tickets sind bezahlt«, sagte Agnes, »außerdem leben wir im 21. Jahrhundert, da ist die Reise mit dem Flugzeug die sicherste Transportmöglichkeit.«
    Und trotzdem kommen dabei weltweit einige Tausend Menschen ums Leben, ging es Plotek
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