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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues
Autoren: Petros Markaris
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auszuweichen, und sind dank unserer voll aufgedrehten Sirene nach zehn Minuten am Ajion-Assomaton-Platz. Vlassopoulos und Dermitsakis befinden sich bereits vor Ort, Stavropoulos und die Spurensicherung sind noch nicht eingetroffen.
    Wir überqueren den Platz und betreten die neue Fußgängerzone in der Ermou-Straße. Rechterhand liegt ein neoklassizistisches Bürgerhaus, dessen Renovierung noch nicht beendet ist. Vierzig Meter weiter sitzt der Tote auf einer Bank, genau gegenüber einer kleinen Anhöhe, die in einer Art Treppenabsatz endet. Ein hölzernes Geländer führt dort hinauf. Auf der Aufnahme ist es nicht zu erkennen, aber hier vor Ort sieht es so aus, als zeige er jemandem auf dem Treppenabsatz die Moutsa.
    Aus der Nähe wirkt er älter als auf der Aufnahme. Sein krauses Haar ist graumeliert. Die Hälfte der unteren Zähne in seinem halb offenen Mund fehlt. Er muß über fünfzig sein, doch bei den Schwarzen weiß man nie so genau. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit älter wirkt.
    »Schon wieder keine sichtbare Verletzung!« höre ich Stavropoulos hinter mir sagen. »Außer, man hat ihn hinterrücks erstochen, aber das bezweifle ich.« Trotzdem tritt er hinter die Bank und wirft einen prüfenden Blick auf den Toten, um ganz sicherzugehen. »Nichts. Weder ein Einstich noch ein Einschußloch im Schädel.« Er will schon seine Utensilien auspacken, als ich ihn unterbreche.
    »Nehmen Sie ihn gleich mit zur Autopsie. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren.«
    Gerade als die Leiche zum Krankenwagen abtransportiert wird, kommt eine schwarze Limousine angeschossen und bleibt direkt vor uns stehen. Parker springt heraus.
    »Wait, wait!« schreit er und läuft auf den Krankenwagen zu. »I must have a look at him.«
    »Wartet, er will ihn sehen«, sage ich zu den Krankenträgern.
    Sie lassen die Tragbahre sinken und blicken Parker neugierig an, der über den Toten gebeugt dasteht und ihn genau studiert. Stavropoulos erklärt ihm, daß es keine Spuren von Gewaltanwendung gibt.
    »Das ist ja übel. This is sick! « schreit er außer sich. »Und es wird bestimmt noch übler, weil die Islamisten eine Landplage sind.« Danach wendet er sich mir zu. »Und Sie haben bislang nichts getan!« meint er. »You have done nothing so far.«
    »Wieso, haben Sie vielleicht etwas erreicht?« frage ich wutschäumend zurück.
    Er hat die Antwort schon parat. »Das liegt in Ihrer Verantwortung. It’s your job. Wir sind nur zu Ihrer Unterstützung da.« Und dann verkündet er mir, daß Gikas uns zu einem Meeting erwartet. Now! Ich weiß nicht, ob Gikas die Sitzung wollte oder ob sie ihm aufoktroyiert wurde.
    Er bietet an, mich in seiner Limousine mitzunehmen. »Vielen Dank, ich bin mit einem Streifenwagen da«, sage ich. Er hat mich unzählige Male angefeindet, und ich habe nicht vor, wegen seines Angebots in seiner Schuld zu stehen.
    Glücklicherweise habe ich Parker in weiser Voraussicht gesagt, wir träfen uns in Gikas’ Büro, denn sobald ich den Flur betrete, erkenne ich einen Schwarm Reporter vor meiner Bürotür. Lügen haben bekanntlich kurze Beine. Die ersten beiden Male konnten wir die Leichen totschweigen, aber den neuen Fall muß ihnen jemand hinterbracht haben.
    »Was ist das für eine Geschichte mit dem Toten in der Fußgängerzone, Herr Kommissar?«
    »Stimmt es, daß er die Handbewegung der Moutsa macht?«
    »Und daß er ein Schild um den Hals trägt, auf dem ›Hisbollah‹ steht?«
    Ich versuche, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen:
    »Momentan kann ich dazu nichts sagen.«
    »Was soll denn die Geheimniskrämerei?« ertönt die aufgebrachte Stimme eines TV -Reporters. »Es soll ja nicht der erste Tote sein.«
    »Gibt es Hinweise auf einen Terroranschlag?« fragt ein anderer.
    »Fassen Sie sich in Geduld, es wird eine offizielle Verlautbarung geben.«
    Diese Aussicht beruhigt sie einigermaßen, und es gelingt mir, mich aus dem Staub zu machen.
    »Aber wie haben sie davon Wind bekommen?« wundert sich Gikas.
    »Aus der Einsatzzentrale«, komme ich ihm zu Hilfe. »Jemand ist auf dem Weg zur Toilette schnell mal telefonieren gegangen.«
    Er blickt mich kommentarlos an. Parker hat sich an unserem Gespräch, das auf griechisch stattfand, nicht beteiligt, doch nun unterbricht er uns mit einer neuen Theorie. Zwar trampelt er mir auf den Nerven herum, aber ich muß zugeben, daß er der erste ist, der Ideen produziert.
    »Diese nackten Körper wollen uns etwas sagen. Es ist eine
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