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Bärenmädchen (German Edition)

Bärenmädchen (German Edition)

Titel: Bärenmädchen (German Edition)
Autoren: Luca Berlin
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fielen Annes Fortschritte vor dem Sulky dagegen kaum auf. Seit der Besprechung mit Sieversen ging er seiner Arbeit nahezu unbeteiligt nach. Der Plan, sie und Ines zu befreien, schien ihn sehr zu beschäftigen. Ines warf er jetzt allerdings wieder Blicke glühender Leidenschaft zu. Einmal sah sie sogar, wie er und das Mädchen engumschlungen in einer dunklen Ecke der Geschirrkammer fiebrige Küsse tauschten.
    Sie bemerkte vieles in diesen Tagen, denn ihre Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Sie wollte stets und überall bereit sein für ihre Befreiung. Als dann allerdings tatsächlich Ungewöhnliches passierte, war es so offensichtlich, dass Anne es wahrscheinlich sogar unter ihrer Schlafkappe gespürt hätte. Am Abend zuvor hatten Zofen das lederne Geschirr des Vierspänners gesäubert und eingeölt. Dann hatten sie unter Anatols Aufsicht die Kutsche, die Rockenbach den Marathonwagen nannte, auf Hochglanz poliert. Anne roch an diesem Morgen noch immer das Putzmittel sowie den Bienenwachsgeruch des Lederöls. Sie standen zu viert nebeneinander angeschirrt in der Spiegelhalle. Ganz links hatten die Zofen Fina eingespannt. Das Mädchen, das sie an ihrem ersten Tag zusammen mit Ines vor dem Sulky gesehen hatte. Daneben stand Florence. Dann kam Anne selbst und schließlich ganz rechts Ines als Leitstute.
    Zwar war Ines sonst die Ruhe selbst und gab schon allein deswegen eine vortreffliche Leitstute ab, heute aber zappelte sie so unruhig in ihrem Geschirr herum, als stünde sie zum ersten Mal vor einer Kutsche. Hatte Rockenbach ihr erzählt, was geplant war? Annes Blicke flitzten wie Billardkugeln durch die Gegend. Sie sah wie Anatol erst einen Kasten mit Mineralwasserflaschen, dann eine Kamera mit Stativ in Rockenbachs Wagen lud. Schließlich ging er noch einmal in die Geschirrkammer und kam mit einem Halsband und einer Schlafkappe in der Hand wieder hinaus. Beides brachte er ebenfalls zum Auto.
    Als sie dann durchs offene Tor am Auto vorbei noch weiter in die Ferne spähte, sah sie, dass vom Schloss herab ein Geländewagen in ihre Richtung fuhr. Der Größe nach zu urteilen, könnte es der von Adrian sein. Ihr Herz klopfte. Wenn er gleich die richtige Abzweigung nahm, kam er zur Stallanlage herunter. Anne konnte es nicht lassen in den großen Spiegel der Spiegelhalle zu schauen. Würde Adrian sie überhaupt noch mögen - mit kahlem Schädel und unrasiertem Schoß, vorgeführt als Stute, das niedrigste Geschöpf im ganzen Schloss? Und wie ängstlich und nervös sie sich da großäugig aus dem Spiegel anblickte.
    „Augen zu“, herrschte sie die Zofe an, die sich bis eben noch mit Ines beschäftigt hatte. Jetzt war anscheinend sie dran, mit Insektenschutzmittel eingerieben zu werden. Der feuchte Schwamm fuhr über ihren Kopf und über die geschlossenen Augen. Dann arbeitete sich die Zofe langsam ihren nackten Körper herunter.
    Anne mied jetzt geflissentlich den Blick in den Spiegel und schaute wieder nach draußen. Rockenbach tigerte wie beim Besuch Sieversens vor dem Eingang der Spiegelhalle hin und her. Diesmal wirkte er sogar noch angespannter. Anne hatte ihn heute Morgen noch keine Sekunde ohne Zigarette in der Hand gesehen. Der Wagen in der Ferne bog unterdessen nicht ab. Er fuhr in Richtung See weiter. Kein Grund zur Enttäuschung, tröstete sie sich. Die Frage war, wohin wurden sie selbst gefahren. Eines war außerdem extrem wichtig. Sie musste jetzt unter allen Umständen funktionieren und eine mustergültig brave Stute abgeben. Was auch immer der Plan vorsah, sie durfte keine zusätzlichen Komplikationen verursachen.
    Die Zofe schnallte ihren Schrittriemen fest. Anne nahm es gelassen hin. Heute bleibst du mir fern weißer Hengst. Ich muss mich auf Wichtigeres konzentrieren, dachte sie. Dann, nachdem auch ihre Köpfe in der Himmelsgucker-Position fixiert waren, ging es endlich los. Anatol hatte sich auf den einzelnen Sitz des Marathonwagens niedergelassen und sie mit einem forschen „Go“ in Bewegung gesetzt. Nun steuerte er sie in Richtung See. Dorthin, wo auch der große Geländewagen hingefahren war! Gerne hätte Anne das dreifache Go gehört, um mit Höchstgeschwindigkeit ihrem Ziel entgegenzustürmen, wo auch immer es sein mochte. Aber Anatol schonte sie anscheinend und ließ sie nur im mittleren Tempo vorangehen. Nach wenigen Metern überholte sie Rockenbach in seinem Wagen und fuhr weiter voraus. Dann bogen sie um ein kleines Wäldchen herum. Der Sandweg führte jetzt einen sanften Hügel hinauf.
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