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Backup - Roman

Backup - Roman

Titel: Backup - Roman
Autoren: Heyne
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erst recht nicht, wie’s ist, wenn Risiken sich auszahlen.«
    Er hatte nicht ganz unrecht. Hier stand ich, erst zum zweiten oder dritten Mal erwachsen und schon bereit, alles dranzugeben und irgendetwas anderes, ganz egal was , zu tun. Er hatte nicht ganz unrecht – aber ich wollte es nicht zugeben. »Das behauptest du. Ich behaupte, dass ich schon ein Risiko eingehe, wenn ich in einer Bar ein Gespräch anfange oder mich verliebe … Und was ist mit Leuten im Kälteschlaf? Ich kenne zwei Leute, die sich gerade für zehntausend Jahre in Kälteschlaf begeben haben! Erzähl mir bloß
nicht, dass sie kein Risiko eingehen!« Um die Wahrheit zu sagen, lagen praktisch alle, die ich in meinen rund achtzig Jahren kennengelernt hatte, im Kälteschlaf, waren irgendwo unterwegs oder einfach abgetaucht . Es waren einsame Tage damals.
    »Bruder, das läuft auf einen halbherzigen Selbstmord hinaus. So wie’s bei uns zugeht, können diese Leute von Glück sagen, wenn sie nicht einfach abgeschaltet werden, sobald’s Zeit für die Wiederbelebung wird. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Es wird hier allmählich ziemlich eng.«
    Ich grummelte etwas Unverständliches vor mich hin und wischte mir die Stirn mit einer Serviette ab – an Sommerabenden war es im Stukka elend heiß. »Ja, ja, vor hundert Jahren, bevor Freie Energie zur Verfügung stand, ist es auf der Erde auch schon mal ein bisschen eng geworden. Damals gab’s zu viele Treibhausgase, zu viele Atombomben, mal war’s zu heiß und mal war’s zu kalt. Wir haben’s damals gerichtet, und wir werden’s wieder richten, wenn’s so weit ist. Ich werd noch in zehntausend Jahren hier sein, jede Wette, Mann, aber bis dahin hab ich vor, eine große Ehrenrunde zu drehen.«
    Er legte den Kopf schräg und dachte kurz darüber nach. Wäre er einer meiner Kommilitonen gewesen, hätte ich angenommen, er lasse in seinem
Kopf eine Suchroutine laufen, um seinen nächsten Geistesblitz mit ein paar Halbwahrheiten zu untermauern. Aber bei ihm war ich mir sicher, dass er wirklich über meine Worte nachdachte, auf die altmodische Art.
    »Wäre ich in zehntausend Jahren immer noch hier, müsste ich schon total durchgeknallt sein. Junge, zehntausend Jahre! Vor zehntausend Jahren waren Ziegen der neuste Stand der Technik. Meinst du wirklich, dass du in hundert Jahrhunderten noch etwas sein wirst, das man als Mensch erkennen kann? Also, ich jedenfalls bin nicht daran interessiert, ein Posthumaner zu werden. Ich werde eines Tages aufwachen und mir sagen: ›Na gut, ich glaube, ich hab genug gesehen‹, und das wird mein letzter Tag sein.«
    Ich hatte geahnt, worauf er hinauswollte, und nicht mehr zugehört, während ich mir meine Antwort zurechtlegte. Ich hätte wohl besser aufpassen sollen. »Aber warum? Warum nicht einfach ein paar Jahrhunderte im Kälteschlaf überbrücken und schauen, ob einen nicht irgendetwas begeistert, und wenn nicht, dann eben noch ein paar Jahrhunderte verschlafen? Warum etwas so Endgültiges ?«
    Er beschämte mich, indem er mit ernster Miene darüber nachdachte, so dass ich mir wie ein angesoffener Dummschwätzer vorkam. »Ich nehme an«, sagte er schließlich, »weil es sonst
nichts Endgültiges mehr gibt. Mir war immer schon klar, dass ich eines Tages nicht mehr herumziehen, nicht mehr suchen, nicht mehr kämpfen und mit allem fertig sein würde. Es wird der Tag kommen, an dem für mich alles erledigt ist und ich nur noch aufhören kann.«
     
    Wegen seiner Desperado-Ausstrahlung und seiner Lebensart nannten sie ihn auf dem Campus den Immer-auf-Achse-Dan . Irgendwie kam es dazu, dass er jedes Gespräch dominierte, das ich während der folgenden sechs Monate führte. Ein paar Mal pingte ich Dans Woppel an und konnte feststellen, dass es unaufhaltsam nach oben kletterte: Zunehmend erwarb er sich die Wertschätzung der Menschen, denen er begegnete.
    In derselben Zeit wirtschaftete ich mein Woppel ziemlich in den Keller und brauchte alle Rücklagen von den Symphonien und den ersten drei Doktorarbeiten auf, indem ich im Stukka meinen Verstand versoff, an Bibliotheksterminals herummurkste und Professoren belästigte, bis ich jeden Respekt, den man mir früher entgegenbrachte, verspielt hatte. Nur Dan achtete mich aus irgendeinem Grund noch und lud mich regelmäßig zu einem Bier, einem Essen oder einem Kinobesuch ein.
    Ich entwickelte das Gefühl, ich müsse etwas Besonderes sein – schließlich hatte nicht jeder
einen derart extravaganten Kumpel wie
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