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Azazel

Titel: Azazel
Autoren: Isaac Asimov
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mein Herz gewinnen. Das und nur das hat mein Herz gewonnen.«
    »Es hat dein Herz gewonnen, mein Kind?« sagte ich sanft. »Du bist ihm also schon begegnet?«
    »In der Tat ... Aber komm, Onkel George, du sollst ihn sehen. Du sollst mein großes Geheimnis mit mir teilen.«
    Wir kehrten in das Zimmer mit der photographischen Kunst zurück, und dort wurde noch ein dicker Vorhang zur Seite gezogen und gab den Blick auf eine Wandnische frei, die ich zuvor noch nicht gesehen hatte. In dieser Wandnische befand sich die Statue eines Mannes, etwa eins achtzig groß, nackt und - so weit ich das beurteilen kann -, bis auf den letzten Millimeter anatomisch korrekt.
    Holunderbeere drückte einen Knopf, und die Statue begann sich auf ihrem Sockel langsam zu drehen, so daß ihre glatte Symmetrie und ihre vollkommenen Proportionen aus jedem Blickwinkel zu erkennen waren.
    »Mein Meisterwerk«, hauchte Holunderbeere.
    Ich bin kein besonderer Bewunderer männlicher Schönheit, aber in Holunderbeer es hübschem Gesicht sah ich eine atemlose Begeisterung, die deutlich machte, daß sie vollkommen von Liebe und Anbetung erfüllt war.
    »Du bist in diese Statue verliebt«, sagte ich und vermied mit Bedacht das unpersönliche Pronomen >es<.
    »Oh ja«, sagte sie. »Ich würde mein Leben für ihn geben. Solange es ihn gibt, erscheinen mir alle anderen Männer mißgestaltet und häßlich. Jede Berührung eines anderen Mannes würde in mir ein Gefühl des Abscheus hervorrufen. Ich will nur ihn. Nur ihn.«
    »Mein armes Kind«, sagte ich. »Die Statue ist nicht lebendig.«
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte sie niedergeschlagen. »Es zerreißt mir das Herz. Was soll ich nur tun?«
    Ich murmelte: »Wie traurig! Das erinnert mich an die Geschichte des Pygmalion.«
    »Wessen Geschichte?« fragte Holunderbeere, die wie alle Künstler recht einfach gestrickt war und von der großen weiten Welt keinen blassen Schimmer hatte.
    »Pygmalion. Das ist eine Geschichte aus dem Altertum. Pygmalion war ein Bildhauer so wie du, außer natürlich, daß er ein Mann war. Wie du hat er eine wunderschöne Statue geschaffen, nur hat er aufgrund besonderer männlicher Vorurteile eine Frau gestaltet, die er Galatea nannte. Die Statue war so schön, daß Pygmalion sich in sie verliebte. Du siehst, genau wie in deinem Fall, nur daß du eine lebende Galatea bist und die Statue ein aus Marmor gehauener ... «
    »Nein«, sagte Holunderbeere energisch, »erwarte nicht, daß ich ihn Pygmalion nenne. Das ist ein rauher, derber Name, und ich will etwas Poetisches. Ich nenne ihn«, und ihr Gesicht leuchtete erneut voller Liebe auf, »Dirk. Dieser Name, Dirk, hat so etwas Weiches, Musikalisches, das meine Seele berührt. Aber was ist mit Pygmalion und Galatea geschehen?«
    Ich sagte: »Von Liebe überwältigt, betete Pygmalion zu Aphrodite ... «
    »Wen?«
    »Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe. Er betete zu ihr und aus Mitleid hat sie die Statue zum Leben erweckt. Galatea wurde eine lebendige Frau, heiratete Pygmalion und beide lebten glücklich bis an ihr Lebensende.«
    »Hmm«, grübelte Holunderbeere, »ich nehme an, Aphrodite existiert eigentlich gar nicht, oder?«
    »Nein, eigentlich nicht. Allerdings ...« Ich hielt inne. Ich glaube nicht, daß Holunderbeere mich verstanden hätte, wenn ich ihr von einem zwei Zentimeter großen Dämon namens Azazel erzählt hätte.
    »Zu schade«, sagte sie. »Wenn irgend jemand Dirk für mich zum Leben erwecken könnte, wenn jemand diesen harten, kalten Marmor in warmes, weiches Fleisch verwandeln könnte, würde ich ihn überschütten mit ... Oh, Onkel George, kannst du dir vorstellen, wie es wäre, Dirk zu umarmen und sein warmes, weiches Fleisch unter deinen Händen zu spüren - so weich ... so weich ...« Sie murmelte diese Worte in inniger Verzückung.
    Ich sagte: »Nun, meine liebe Holunderbeere, eigentlich möchte ich mir das ungern vorstellen. Aber ich kann verstehen, daß du den Gedanken reizvoll findest. Du sagtest gerade, wenn jemand diesen harten, kalten Marmor in weiches, warmes Fleisch verwandeln könnte, würdest du ihm etwas geben. Hattest du da tatsächlich an etwas Bestimmtes gedacht, Liebes?«
    »Aber natürlich! Ich würde ihm eine Million Dollar geben.«
    Ich hielt inne, wie jeder das aus Respekt vor einer solchen Summe getan hätte. Dann sagte ich: »Besitzt du tatsächlich eine Million Dollar, Holunderbeere?«
    »Ich habe sogar zwei Millionen von diesen hübschen Scheinchen, Onkel George«, sagte sie auf
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