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Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen

Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen

Titel: Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Autoren: Rachel Treasure
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Sam. Ich weiß es nicht. Es sieht schlimm aus. Sie fliegen sie mit dem Hubschrauber raus.« Sam hörte die blanke Angst in der Stimme seines Vaters, doch im nächsten Moment war die Leitung tot. Als er zurückzurufen versuchte, landete er direkt auf der Mailbox.
    »Dad, ruf sofort zurück, sobald du wieder ein Netz hast!«
    Sam legte das Handy auf den Nachttisch zurück und ließ den Kopf in die Hände sinken, während die texanischen Mädchen stöhnend zu protestieren begannen, dass sie geweckt worden waren. Er hörte sie kaum, denn er war im Geist wieder auf dem Weg zur Dargo Primary School, zusammen mit Emily, die ihre langen dunklen Haare zu windschiefen Zöpfen geflochten hatte. Dort saßen sie dann an zerkratzten Holztischen, so wie schon ihr Vater vor ihnen. Sam und Emily hatten ihre Lehrerin, Mrs Donegal, die schon ihren Vater unterrichtet hatte, vergöttert.
    Ihr Hals war zwar faltig wie der eines Truthahns, und statt eines Busens schien sie eine riesige überreife Wassermelone vor sich her zu tragen, doch Sam und Emily, die mutterlos aufwuchsen, verzehrten sich nach weiblicher Zuwendung, und die gab Mrs Donegal ihnen nur allzu gern. Mehr als vierzig Jahre hatte sie in diesem Distrikt unterrichtet, und manchmal quetschten Sam und Emily absichtlich ein paar Tränen heraus, nur um an das weiche Kissen ihres Busens gezogen zu werden, wofür sie sogar das Pieksen der Stoppeln an Mrs Donegals Kinn in Kauf nahmen.
    Nein, es war unvorstellbar, dass Sam auch noch Emily verlor. Seine ganze Welt drehte sich um sie, genau wie um die Sonne. Ohne sie hätte er die einsame Kindheit in dem zerklüfteten Bergland niemals überstanden. Ohne sie hätte er nie eine neue Heimat in der Musik gefunden.
    Emily und Sam waren Cattlemen in der fünften Generation und entstammten einer langen Reihe von entschlusskräftigen, schwer arbeitenden und einfallsreichen Vorfahren. Von frühester Kindheit an hatten sie erzählt bekommen, wie sich ihre Ururgroßeltern in die entlegensten Gebiete des Hochlandes durchgeschlagen hatten, begleitet von ihren Kindern, die sie auf zwei Lehnstühlen seitlich an die Packpferde gebunden hatten. Ihre Ururgroßmutter Emily, die vor dieser Reise kaum je geritten war, hatte ihren Urgroßvater, damals ein neun Monate altes Baby, vor sich auf ein gemietetes Pferd gesetzt.
    Sie hatten erzählt bekommen, wie ihre Ahnen mit der Zugsäge Baumstämme zerteilt und Herz und Hirn eingesetzt hatten, um in den Bergen zu überleben. Unermüdlich hatten sie in den zerklüftetsten Landstrichen von Victoria ihren Traum wahr gemacht. In den Anfangstagen hatten die Flanaghans, wenn sie nicht auf ihren arbeitsgestählten Packpferden Waren über die Berge transportierten, von ihrer Hütte auf der King’s Spur aus die Minenarbeiter mit Essen und Ausrüstung versorgt oder Rinderherden auf der Suche nach süßem Sommergras über die Berge getrieben. Selbst während der raren Ruhetage waren die Jungs der Flanaghans auf Abenteuersuche gegangen: Sie hatten nach Gold gesucht, Minenschächte gegraben, Klippen erklommen oder auf den Pferden über umgestürzte Bäume gesetzt.
    Es gab unzählige solcher Geschichten über ihre längst verstorbenen Verwandten, doch Sam hatte schon bald gemerkt, dass ihm diese Art von Abenteuerlust fehlte. Und ohne Mutter, die ihm Halt hätte geben können, hatte er bald zu streunen begonnen und sich treiben lassen.
    Schon immer hatten die Frauen in der Familie die Männer im Zaum gehalten. Wenn die alten Geschichten stimmten, dann hatte die alte Emily jedem, der in dieser wilden, manchmal erbarmungslosen Gegend Gastfreundschaft benötigte, bereitwillig ein Mahl oder ein Bett bereitet. Vor allem sie hatte die Jungen angespornt, Gedichte und Geschichten zu schreiben und die Buchstaben im matten Schein einer Kerzenflamme in einer von Schneestürmen umtosten Berghütte mühsam auf ein Blatt Papier zu krakeln. Sie hatte ihre Kinder dazu ermutigt, am Lagerfeuer eine Melodie auf einer Mundharmonika nachzuspielen und sich für Kirchenlieder und das Wort Gottes zu interessieren.
    In Sams Schwester fanden sich die starken Gene ihrer Bergsippe wieder. Auch diese Emily strahlte eine stille Stärke aus, die in dem Fels zu wurzeln schien, auf dem sie groß geworden war. Sam wusste genau, dass ihm das Gen für Schwerarbeit fehlte, das Emily so tief in sich trug. Wenigstens hatte er die Musikergene geerbt, aber die Berge waren kein Platz für einen verträumten, arbeitsscheuen Jungen wie ihn, und so hatte Emily ihn jeden
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