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Australien 01 - Wo der Wind singt

Australien 01 - Wo der Wind singt

Titel: Australien 01 - Wo der Wind singt
Autoren: Rachel Treasure
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selbst, weil sie einen fürchterlichen Kater hatte und weil sie wieder einmal in aller Öffentlichkeit irgendeinen Kerl abgeschleppt hatte. Und natürlich hatte ihre Mitbewohnerin Tabby wie immer Recht: Sie würde zu spät zur Arbeit kommen. Viel zu spät.
    »Sch-Scheiße, Scheiße«, ahmte Nell sie nach. Kate warf ihrer Tochter einen strengen Blick zu.
    Vor der Kindertagesstätte, die sich in einer von Bäumen gesäumten Straße in der Innenstadt befand, setzte Kate Nell auf ihre Hüfte. Dann hängte sie sich eine staubige Windeltasche über die Schulter. Sie griff nach oben, um das hohe, kindersichere Tor zu öffnen. Sie musste eine ganze Weile an dem widerspenstigen Plastikriegel herumfummeln, bis sich das Tor schließlich mit einem lauten Quietschen öffnete. Verdammt, sie würde wohl nie kapieren, wie dieses Ding funktionierte. Bevor sie hineinging, hauchte Kate ein paar Mal in ihre Handfläche und atmete dann tief durch ihre Nase ein. War der Alkohol von gestern noch zu riechen? Auf der Fahrt hierher hatte sie immer wieder den Wäschespinnenmann vor Augen gehabt, vor allem sein verblüfftes Gesicht, als sie ihm den Laufpass gegeben hatte. Jetzt stieß sie sauer auf. Fiona, die Erzieherin, würde ihr den Kater bestimmt sofort ansehen.
    Das Geschrei der Kinder wurde lauter, als Kate das Gebäude betrat. Sie musste sich unter den bunten Fischen ducken, die an Nylonfäden von der Decke hingen.
    »Ich sehe, dass Ihnen unsere Fischdekoration gefällt«, sagte eine strahlende Fiona mit singender Stimme. »Ach sieh an. Sie haben Nellies
Haare mit Gel frisiert. Sieht wirklich hübsch aus«, sagte sie und nahm dabei Kate die Tasche mit den Windeln von der Schulter.
    »Äh. Nein. Ich glaube, das ist Orangensaft und Vegemite-Toast«, sagte Kate.
    »Ist Mami nicht schlau?«, fragte Fiona, als Kate einen Klumpen gekautes Brot aus Nells lockigem, beinahe weißem Haar zupfte. »Wann wollen Sie Nellie heute Abend abholen?«
    Eine freundliche Frage. Kate wusste jedoch ganz genau, was Fiona wirklich damit sagen wollte. Kommen Sie bitte nicht wieder zu spät .
    »Zur selben Zeit wie sonst auch immer«, sagte Kate.
    Als Fiona Nell auf den Arm nehmen wollte, schob diese ihre rosa Unterlippe vor und wandte den Kopf ab. Sie schlang die Arme um Kates Nacken, strampelte mit den Beinen und begann zu schreien.
    »Neiiiiiin! Ich will nicht!«
    »Komm schon, Nell. Deine Mami muss zur Arbeit.«
    »Neiiin.«
    »Erinnerst du dich an das, was Mami dir gesagt hat? Mami muss arbeiten, damit sie die Miete bezahlen kann. Und um dir Anziehsachen und Spielzeug zu kaufen. Und Essen … damit du es dann auf den Boden werfen kannst. Ich komme dich bald wieder holen. Versprochen. «
    Kate löste Nells Arme von ihrem Nacken und übergab Fiona das schluchzende Kind. Himmel, warum war das alles nicht etwas leichter, fragte sich Kate.
    »Schau mal dort drüben, Nell. Wir haben ein neues Vögelchen. Möchtest du vielleicht sehen, was für hübsche gelbe Federn es hat?«
    Fiona zwinkerte Kate verschwörerisch zu und ging dann mit Nell davon. Kate versuchte Nells Schluchzen, das sich jetzt wie ein abgehacktes Keuchen anhörte zu ignorieren. Sie hatte einen Kloß im Hals. Sie wollte Nell in die Arme nehmen, sie küssen und ganz fest halten und niemals wieder loslassen. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden geworfen, jetzt und hier, und in die Haare ihres kleinen Mädchens hineingeschluchzt.

    Ich bin doch selbst noch ein Kind, wollte Kate schreien. Und ich brauche doch auch meine Mami! Wo ist meine Mami? Stattdessen drehte sie sich jedoch um und verließ mit raschen Schritten die Kindertagesstätte.
    Als Kate dann draußen in ihrem Pick-up saß und versuchte, sich zu beruhigen, musste sie wieder an die stürmischen, bitteren Frühlingstage auf der ein wenig außerhalb von Orange gelegenen Farm ihrer Tante Maureen denken. Sie war damals gerade zwanzig geworden, und ihr Bauch hatte ihr den Weg gewiesen, wo auch immer sie hingegangen war. Sie hatte das Gefühl gehabt, als würde die runde Kugel, die sie da vor sich hertrug, irgendjemand anderem gehören. Sie war im siebten Monat schwanger gewesen. Seit fünf Monaten studierte sie an der landwirtschaftlichen Hochschule. Sie hatte ihre Mutter an jedem einzelnen Tag schmerzlich vermisst.
    Sie verbrachte den größten Teil ihrer Zeit am Küchentisch ihrer Tante Maureen, ihre Seminarunterlagen vor sich ausgebreitet und mit der Hand geistesabwesend ihren Bauch streichelnd, in dem ihr Baby heranwuchs. Aber wenn sie
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