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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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nur möglich zu machen. Gemeinsam waren sie im Laderaum des Lieferwagens herumgekrochen, bis sie schließlich seitwärts auf dem Boden saßen, die Beine ausgestreckt, beide den Rücken an den großen Radkasten auf der rechten Seite gelehnt und so ein wenig vor den Rüttelbewegungen des Fahrzeugs geschützt. Die Frau saß an der Hinterseite, Reacher an der vorderen. Ihre mit der Handschelle miteinander verbundenen Handgelenke lagen zusammen auf der flachen Oberseite der Ausbuchtung im Blech, als ob sie ein Liebespaar wären, das sich gemeinsam in einem Café die Zeit vertrieb.
    Anfänglich hatten sie nicht miteinander geredet. Sie waren bloß still und benommen dagesessen. Das unmittelbare Problem war die Hitze. Es war um die Mittagszeit am letzten Junitag im Mittleren Westen, und sie waren eingesperrt in einem umschlossenen Raum mit Blechwänden. Es gab keinerlei Ventilation. Reacher nahm an, dass der außen an der Karosserie vorbeiströmende Fahrtwind diese bis zu einem gewissen Maße abkühlte, aber es reichte bei weitem nicht.
    Er saß einfach in der Düsternis da und nutzte die heiße, tote Zeit dazu, um nachzudenken und Pläne zu machen, wie man es ihm beigebracht hatte. Blieb dabei ruhig, entspannt und jederzeit bereit und vergeudete seine Energie nicht mit nutzlosen Spekulationen. Beurteilend und einschätzend. Die drei Männer hatten ein gewisses Maß an Effizienz erkennen lassen. Kein großes Talent, keine besondere Raffinesse, aber auch keine signifikanten Fehler. Der nervöse Typ mit der zweiten Glock war das schwächste Glied des Teams, aber der Anführer hatte das recht gut ausgeglichen. Ein effizientes Dreierteam. Keineswegs das schlechteste, das er bisher erlebt hatte. Aber im Augenblick machte er sich keine Sorgen. Er hatte sich schon in schlimmeren Lagen befunden und sie heil überstanden. Sogar in viel schlimmeren Lagen und das auch mehr als einmal. Also machte er sich noch keine Sorgen.
    Dann fiel ihm etwas auf. Es fiel ihm auf, dass die Frau sich auch keine Sorgen machte. Sie war ebenfalls ruhig. Sie saß einfach da, schwankte, war mit einer Handschelle an sein Handgelenk gefesselt und dachte und plante, wie man es ihr vielleicht ebenfalls beigebracht hatte. Er sah in dem schwachen Licht zu ihr hinüber und bemerkte, dass sie ihn aufmerksam musterte. Ein leicht spöttisch wirkender Blick, ruhig, kontrolliert, ein wenig überlegen, ein wenig missbilligend. Die selbstbewusste Zuversicht der Jugend. Jetzt hatte sie bemerkt, dass er sie ansah, hielt seinem Blick aber stand. Sie streckte ihre in der Handschelle steckende rechte Hand aus und stieß dabei an sein linkes Handgelenk, aber es war eine aufmunternde Geste. Er griff mit der anderen Hand herum und schüttelte ihr die Hand, und dann lächelten sie beide, ein kurzes, ironisches Lächeln hinsichtlich ihrer wechselseitigen Förmlichkeit.
    »Holly Johnson«, sagte sie.
    Sie musterte ihn aufmerksam. Er konnte sehen, wie ihr Blick über sein Gesicht wanderte, es losließ, kurz seine Kleidung erfasste und dann wieder zu seinem Gesicht zurückwanderte. Wieder lächelte sie kurz, als ob sie zu dem Entschluss gelangt wäre, dass er eine höfliche Geste verdiente.
    »Nett, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte sie.
    Er erwiderte ihren Blick. Betrachtete ihr Gesicht. Sie war eine sehr gut aussehende Frau. Vielleicht sechsundzwanzig, siebenundzwanzig. Er musterte ihre Kleider. Eine Zeile aus einem alten Lied ging ihm durch den Kopf: Hundred Dollar dresses, that I ain’t paid for yet . Konnte er sich noch an die nächste Zeile erinnern? Nein. Also erwiderte er ihr Lächeln und nickte.
    »Jack Reacher«, sagte er. »Ganz meinerseits, Holly, glauben Sie mir.«
    Es war schwierig sich verständlich zu machen, weil der Lieferwagen großen Lärm machte. Das Motorengeräusch kämpfte gegen das Dröhnen der Räder auf der Straße an. Reacher wäre mit dem größten Vergnügen noch eine Weile still sitzen geblieben, aber Holly hatte da andere Pläne.
    »Ich muss Sie loswerden«, sagte sie.
    Eine selbstbewusste Frau, die sich gut im Griff hatte. Er gab keine Antwort. Sah sie bloß an und sah wieder weg. Die nächste Zeile in dem Lied lautete: Cold, cold blooded woman . Eine traurige, eine bittere Zeile. Ein altes Memphis-Slim-Lied. Aber der Text passte nicht auf sie. Passte überhaupt nicht. Das hier war keine kaltblütige Frau. Er sah wieder zu ihr hinüber und zuckte die Schultern. Sie starrte ihn an. Ungeduldig, weil er schwieg.
    »Ihnen ist doch klar, was hier
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