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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten
Autoren: Andreas Scheffler
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»Hier: ›Wenn man sich keine Erinnerungen tagtäglich schafft, dann kann man sich auch nicht erinnern.‹ Hanns Dieter Hüsch. Oder hier, das wär was für Harald. Der ist doch arbeitslos: ›Der Sinn liegt darin, nix zu tun, nicht zu arbeiten und trotzdem keine Langeweile zu haben.‹ Wolfgang Neuss. Ganz klasse für Harald.«
    »Harald schreib ich nicht. Der hat mal zugegeben, Republikaner gewählt zu haben.«
    »Genau. Der bekommt ›Wenn ich wenigstens ein Neger wär, dann wär ich wer.‹ Stephan Sulke.«
    »Nee!«, sagt Sabine. »Ist schon gut. Dann mach ich es eben alleine.«
    Ich will gerade erleichtert gehen, da fällt mein Blick auf einen Briefumschlag. »Trautmanns? Ist das nicht die Frau, die du vor ein paar Tagen auf der Straße getroffen hast? Die mit den Sprüchen? Die übernehme ich.« Ich verziehe mich in mein Arbeitszimmer, überlege fünf Minuten und habe flugs eine wunderschöne, individuelle Neujahrskarte fertig:
    Liebe Trautmanns, prosit Neujahr!
Wir hoffen, dass das letzte gut war.
Toll soll auch das nächste werden:
Friede und viel Glück auf Erden!
Wir wünschen eine schöne Zeit.
Andreas Scheffler, copyright.

Blut
    Es ist ungewöhnlich voll an diesem Nachmittag bei Schlecker im Nachbarort. Ich stehe in der Schlange an der Kasse. Ich fühle mich unwohl. Der Opa hinter mir starrt die ganze Zeit abwechselnd auf meine Waren auf dem Band und auf mich. Ich sehe mich immer wieder kurz um. Er guckt irritiert und irgendwie angeekelt. Gleich wird die Kassiererin einen kleinen Karton aus meinen Sachen haurausfischen, ihn hochhalten und durch den ganzen Laden brüllen: »Helga, was kosten die Tampons?! Superplus! Die Großpackung!« Anders als in der Safer-Sex-Werbung würden hier alle verschämt weggucken. Der Opa würde nicht aus Solidarität auch ein Päckchen kaufen. Warum auch? Er sieht nicht aus, als ob er eine wesentlich jüngere Frau hätte. Er sieht eher aus, als hätte er gar keine Frau. Er riecht nach Schnaps. Und wenn ich das mit meiner Rauchernase schon rieche, muss das eine gehörige Fahne sein. Ich nehme auffällig ein Fläschchen Wilthener Goldkrone aus dem Regal neben der Kasse und lege sie zu meinen Sachen auf das Band. Tampons kaufen ist unmännlich. Aber wenn man Schnaps kauft, ist man ein Kerl. Das 0,2-Liter-Fläschchen sieht allerdings arg niedlich aus. Nicht richtig männlich. Ich lege noch drei dazu. Daneben liegt die Großpackung Tampons. Der Opa guckt unverändert skeptisch.
    Ich könnte sagen: »Ich hab öfters Nasenbluten. Da sind die Dinger total praktisch. Ja, Nasenbluten. Ich bin Künstler, wissen Sie, da kokst man wie bekloppt, sonst fällt einem nichts ein. Und davon kriegt man Nasenbluten.« – Ziemlich blöde Idee.
    Die Kassiererin nimmt meine Packung Tampons vom Band.
    »Superplus. Sind Sie sicher, dass Sie auch die richtigen haben?«, fragt sie.
    »Ja«, sage ich.
    »Also eine starke Regel in den ersten Tagen?«
    »Ja«, sage ich, »meine Frau natürlich.«
    Der Opa hinter mir wendet sich angewidert ab. Man redet nicht gern darüber. Und man hört nicht gern davon.
    »Haben Sie schon die neuen Always probiert?«, fragt die Kassiererin.
    »Ich? Nein. Ach so, nein, meine Frau nimmt keine Binden.«
    »Haben Sie sie mal gefragt, warum?«
    Ich will darauf nicht antworten. Ich will mich nicht über die Monatsblutung meiner Frau unterhalten. Auch wenn ich Bescheid weiß. Es ist unangenehm, und es tut weh. Das tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern. Die beliebte Entgegnung, Männer hätten es auch nicht leicht, die müssten sich schließlich jeden Tag rasieren, finde ich blöd. Müssen sie nämlich gar nicht. Kriegen sie halt einen Bart. Bei Frauen hört die Bluterei irgendwann auf. Aber Ruhe haben sie nach dem Klimakterium auch nicht. Dann wachsen ihnen nämlich mitunter plötzlich in unregelmäßigen Abständen Barthaare. Und diese gilt es aus ästhetischen Gründen unbedingt zu entfernen. Da muss Ewigkeiten lang bei unterschiedlichem Lichteinfall mit der Nagelschere in der Hand die Hals- und Wangenhaut untersucht werden. – Das wünscht man niemandem.
    »Nun gib Ruhe und lass den Jungen endlich sein Zeug bezahlen«, sagt der Opa ungeduldig zu der Kassiererin.
    Er hat »den Jungen« gesagt. Ach Gott, bin ich froh, dass das nun wirklich nicht mehr zu mir passt. Eine neue Freundin fragte mich mal, die Geschichte ist zwanzig Jahre her, und ich kann das heute erzählen, Ingrid und ich waren also gerade zwei Wochen zusammen, da sagte sie mir, in ein paar Tagen
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