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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Autoren: José Carreras
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Maß an Beharrlichkeit beispielsweise nötig gewesen wäre, um Architektur zu studieren, muss ich sagen, dass ich die bestimmt nicht aufgebracht hätte.«

    »Sie sagen, dass Sie eine Opernrolle in zwei Tagen gelernt haben. Ist Oper für einen Darsteller nicht ungeheuer anspruchsvoll? Bedeutet es keine zusätzliche Erschwernis, gleichzeitig vom Libretto und der Partitur abhängig zu sein?«

    »Schon, aber im Grunde ist es einfacher, eine Oper zu singen, als eine Sprechrolle auf dem Theater zu verkörpern. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Text und Musik gehen Hand in Hand. Wer im Radio ein Lied zum ersten Mal hört, behält beides gleichzeitig im Kopf, den Text und die Musik. Man lernt nicht zuerst das eine und dann das andere. Was mich betrifft, macht das die Sache einfacher. Ich habe über hundert Opern einstudiert, und ich denke, dass es
mir bedeutend schwerer fallen würde und sehr viel komplizierter wäre, die Rollen von hundert Theaterstücken zu lernen, weil die Musik es einem bei einer Oper ungeheuer erleichtert, sich den Text einzuprägen.«

    »Heißt das, der Beruf des Schauspielers würde nicht zu denen gehören, die Sie sich vorstellen könnten?«

    »Na ja, vielleicht hätte ich mich da ja eingearbeitet. Dass mir das als schwieriger erscheint, muss nicht bedeuten, dass ich es nicht könnte. Der Beruf des Schauspielers ist in meinen Augen wunderbar, denn auch er bietet eine großartige Möglichkeit, sich auszudrücken. «

    »Es gibt gute Opernsänger, die zugleich gute Schauspieler sind.«

    »Ja, ein paar.«

    »Halten Sie sich für einen guten Schauspieler?«

    »Sagen wir, für einen brauchbaren. Aber es wäre wohl übertrieben, wenn ich mich als bedeutenden Schauspieler bezeichnen würde.«

    »Gehen bei Ihnen die Gefühle, wenn Sie in einer Oper singen, so tief, dass Sie beispielsweise ebenso leiden wie die Figur, die Sie darstellen?«

    »Auf jeden Fall. Aber in einem bestimmten Augenblick muss sich der Verstand gegenüber dem Herzen durchsetzen. Man kann nicht gut dem Publikum sagen: ›Geht nach Hause, denn ich bin zu sehr betroffen.‹ Man muss sich selbst gegenüber zynisch sein. Beispielsweise war das bei mir so, als ich am Triumphbogen in Barcelona mein erstes Konzert gab, nachdem ich meine Krankheit überwunden hatte.«

    »Nennen Sie mir eine besonders bewegende Stelle in einer Oper.«

    »Der letzte Akt von Carmen . Er ist musikalisch, sängerisch, szenisch und dramatisch so intensiv wie kaum einer. Es ist äußerst schwierig, die innere Bewegung mit der Leidenschaft zu verbinden. Der Verstand muss einem sagen, wie man singen und sich ausdrücken soll, aber einen bestimmten Ton singen und im selben Augenblick die nötigen Bewegungen auf der Bühne entsprechend dem ausführen, was der Dirigent vorgibt und der Partner erwartet … Auch wenn zum Schluss alles auf ganz natürliche Weise herauskommt, ist es ein äußerst komplizierter Augenblick.«

    »Reisen Sie gern, obwohl es sicher sehr anstrengend ist, in einem Beruf wie dem Ihren viele Stunden im Flugzeug zuzubringen?«

    »Ich will es mal so sagen: Das Reisen stört mich nicht. Je nach Ziel und Umständen würde ich sogar sagen, dass ich gern fliege. Es ist eine gute Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen, vor allem dann, wenn die anderen schlafen. Ich ruhe im Flugzeug nur wenig und nutze lieber die Zeit, um zu lesen, vor allem aber, um Filme zu sehen, wozu ich sonst wenig Zeit habe.«

    »Wovon träumen Sie am liebsten?«

    »Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll … ein Wunschtraum? Dann auf jeden Fall, dass alle im Umkreis meiner Familie in Harmonie und Zuneigung zueinander leben.«

    »Quält Sie irgendein Albtraum?«

    »Unmittelbar nach meiner Krankheit und noch einige Monate später habe ich immer wieder geträumt, dass man mir sagte: ›Komm, José, wir müssen noch ein paar Untersuchungen machen.‹ Ich sah dann Professor Rozman im weißen Kittel vor mir. Man
hat mir Blut abgenommen, und wenn die Leute bald darauf mit den Ergebnissen zurückkehrten, haben sie gesagt: ›Hör mal, du musst noch hierbleiben‹, und ich dachte dann immer: Jetzt geht es wieder von vorne los. Es war ein richtiger Angsttraum, aus dem ich ganz beklommen aufgewacht bin. Da habe ich wirklich Schweres durchgemacht. Zu Anfang meiner Rekonvaleszenzphase ist mir das des Öfteren passiert, doch eines schönen Tages hat der Traum aufgehört und ist nie wiedergekommen. In einem anderen, ziemlich häufigen Traum, der mich recht lange verfolgt hat, aber in
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