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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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Einzimmerwohnung. Ich sah sie mir an. Der Wohnraum maß gerade mal fünfzehn Quadratmeter, dafür lag die Wohnung direkt am Kollwitzplatz – der besten Adresse im Viertel – und war außerdem geschmackvoll mit hellen Holzmöbeln eingerichtet. Der Vermieter war bereit, sie mir für drei Monate zu überlassen – mit der Möglichkeit, den Vertrag anschließend zu verlängern. Bis auf Bettwäsche und Handtücher brauchte ich mir nichts anzuschaffen. Ich schrieb mich für einen Intensivkurs am Goethe-Institut ein. Dort mühte ich mich sechs Stunden am Tag, mir die Umlaute und den Dativ einzuprägen – und traf einen ruhigen schwedischen Künstler namens Johann. Er war mit einem Stipendium nach Berlin gekommen, um Deutsch zu lernen und zu malen. Zu meiner eigenen Überraschung begannen wir eine Affäre. Wir waren uns beide einig, dass es nichts Ernstes war und außerdem zeitlich begrenzt (schließlich hatte er zu Hause eine Freundin). Wir gingen an zwei, drei Abenden die Woche gemeinsam aus. Wir kauften uns günstige Karten für die Berliner Philharmoniker oder die Komische Oper. Wir besuchten kostenlose Jazzkonzerte. Wir sahen uns Filme in dem coolen kleinen Kino in einer Seitengasse vom Hackeschen Markt an. Und dann verbrachten wir die Nacht in meinem Klappbett, das glücklicherweise ein Doppelbett war.
    Anfangs war es merkwürdig – wenn nicht fast unmöglich, sich wieder auf einen erotischen Nahkampf einzulassen. Als Johann erste Annäherungsversuche unternahm, wollte ich instinktiv die Flucht ergreifen. Aber zum Glück unterdrückte ich diesen Fluchtreflex und ersetzte ihn durch einen simpleren Gedanken: Ich wollte wieder Sex haben.
    Johann war liebevoll, zärtlich und ein wenig distanziert … aber das war mir, ehrlich gesagt, nur recht. Ich genoss es, wenn er mich in den Armen hielt. Ich genoss es, wenn wir uns liebten, und ich genoss es, mit ihm zu reden. Wir sprachen nur selten über Dinge, die uns wirklich wichtig waren. Trotzdem erfuhr ich von seinem autoritären halbadeligen Vater, der wollte, dass er in die Familienkanzlei eintrat, aber gleichzeitig seinen Traum, ein abstrakter Maler zu werden, zur Hälfte finanzierte. Johann hatte wirklich Talent – seine Farbstudien im Stil Ellsworth Kellys wirkten vielversprechend. Aber wie er selbst zugab, war sein Trustfonds groß genug, um ihn zu ruinieren, denn er hing lieber in Bars und Cafés herum, statt ernsthaft sein Handwerk zu lernen. Er stellte mir nicht viele Fragen – und als er anfangs mal bemerkte, dass mich stets eine gewisse Traurigkeit umgebe, zuckte ich nur die Achseln und sagte: »Wir haben alle unser Päckchen zu tragen.«
    Und über mein Päckchen wollte ich einfach nicht reden.
    Genauso wenig wollte ich irgendetwas mit der Presse zu tun haben. Doch eine Woche nach meiner Ankunft in Berlin ging ich an einem Zeitungskiosk vorbei. Auf der Titelseite einer besonders billigen Boulevardzeitung prangte ein körniges Foto von Coursen mit der Überschrift: »Das Monster aus den Rockies!« Nach diesem Erlebnis wandte ich jedes Mal den Blick ab, wenn ich an einem Zeitungsstand vorbeikam.
    Wegen meines Deutschkurses, den Nächten mit Johann und der Möglichkeit, jeden freien Abend mit einem Konzert, einem Film oder einem Theaterstück zu füllen, verging die Zeit in Berlin rasend schnell. An einer Ecke vom Kollwitzplatz lag ein Spielplatz, den ich meiden musste. Das galt auch für ein Abendessen bei deutschen Freunden von Johann. Als er erwähnte, dass das Paar eine fünfjährige Tochter hatte, sagte ich ab.
    »Ich bin auch nicht scharf auf kleine Kinder«, sagte er. »Mach, was du willst.«
    Das war der Anfang vom Ende mit Johann. Bald darauf verkündete er, dass er in einer Woche nach Stockholm zurückkehren würde. Jutta – die wohlhabende Diplomatentochter, mit der er seit drei Jahren zusammen war – vermisse ihn. Außerdem habe sein Vater angeboten, ihnen eine Wohnung zu kaufen, wenn er sein abgebrochenes Jurastudium wieder aufnehme.
    »Wahrscheinlich wird ein Hobbykünstler aus mir«, sagte er etwas lahm.
    »Du wist bestimmt ein schönes Leben haben.«
    »Und was planst du?«
    »Ich werde in die Staaten zurückkehren – und mir überlegen, wie ich den Dativ anwenden kann.«
    Im Ernst: Ich wusste, dass ich etwas aus meinem Leben machen musste. Ich konnte nicht ohne jedes Ziel, ohne jeden Ehrgeiz einfach so in den Tag hineinleben. Nicht umsonst hatte ich in den ersten Monaten in Calgary festgestellt: Je mehr man sich treiben lässt, desto mehr wird
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