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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt
Autoren: Douglas Kennedy
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lösen müssen.«
    Sie hatte natürlich recht gehabt, denn inzwischen empfand ich nur noch Verachtung und Wut.
    Das sagte ich auch Mr Alkan, den ich am nächsten Tag traf. Er wirkte aufrichtig erfreut, mich zu sehen, und fragte mich auf seine sanfte, behutsame Art, wie ich klarkäme.
    »Manche Tage sind erträglich, manche nicht. Aber das lässt sich wohl nicht ändern.«
    »Bevor wir auf andere Dinge zu sprechen kommen, muss ich Ihnen sagen, dass Mr Theo Morgan, Ihr … ›Expartner‹, denn so muss ich ihn wohl nennen, regelmäßig bei mir angerufen hat, um sich nach Ihnen zu erkundigen. Natürlich habe ich mich strikt an Ihre Anweisungen gehalten und Sie deswegen nie kontaktiert. Aber … wie soll ich das sagen? Er brach am Telefon regelrecht zusammen und schien untröstlich über das Ende Ihrer Beziehung und … äh …«
    »Den Tod unseres Kindes?«, fragte ich.
    »Ja. Ich habe hier ein halbes Dutzend Briefe für Sie, die er im letzten Jahr geschickt hat.«
    »Ich möchte sie nicht lesen.«
    »Dann bleiben sie hier, bis Sie so weit sind.«
    »Verbrennen Sie sie, werfen Sie sie weg.«
    »Vielleicht werden Sie mit der Zeit anders darüber denken.«
    »Nein, das werde ich nicht. Genau wie damals, als ich Sie bat, die Wohnung zu verkaufen.«
    »Ja, Miss Howard, Sie haben mich gebeten, die Wohnung zu verkaufen – so wie Sie mir klipp und klar befohlen haben, die Versicherungssumme an eine wohltätige Organisation für verwaiste Eltern zu überweisen. Aber was die Wohnung betrifft … Als Sie mir die Vollmacht übertragen haben, haben Sie auch ein Dokument unterzeichnet, das mich frei über Ihr Vermögen verfügen ließ. So gesehen habe ich Ihre Anweisung leider nicht befolgt, sondern Ihre Wohnung in Somerville an einen netten Französisch-Gastprofessor an der Tufts University vermietet. Er zahlt 2000 Dollar im Monat – von denen Ihnen abzüglich sämtlicher Steuern und Nebenkosten etwa zwölfhundert im Monat bleiben. Die habe ich auf einem Konto für Sie angelegt, wo sie etwas Zinsen bringen. Es ist zwar kein Vermögen zusammengekommen, aber …«
    Ich wollte schon so etwas Undankbares sagen wie »Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen das verdammte Ding verkaufen!« Aber das wäre … na ja, wirklich undankbar gewesen. Und noch etwas wurde mir klar: In all den Monaten, in denen ich mich in einem dunklen Wald verlaufen hatte, hatte ich mich auch deshalb von allem trennen wollen, weil mir nichts Besseres eingefallen war, als aus der Welt zu scheiden.
    Aber jetzt … ehrlich gesagt war ich froh, dass er die Wohnung für mich behalten hatte.
    »Danke, dass Sie Vernunft bewahrt haben, als ich einfach nicht dazu in der Lage war.«
    »Dafür werde ich bezahlt. Allerdings habe ich mit der gesamten Versicherungssumme tatsächlich eine Stiftung in Emilys Namen ins Leben gerufen …«
    Ich hob abwehrend die Hand.
    »Ein andermal, einverstanden?«, sagte ich.
    »Gut. Aber da ist noch etwas, worüber wir sprechen müssen. Der Friedhof hat vor zwei Monaten angerufen und gefragt, ob Sie einen Grabstein für Emily in Auftrag geben wollen.«
    Ich wusste, dass das kommen würde – dass mich die Leute von dieser »letzten Ruhestätte«, wie es in ihren widerlichen Broschüren hieß, daran erinnern würden, mehrere Tausend Dollar für die übliche Marmorplatte lockerzumachen.
    Aber in diesem Leben hat wohl jeder etwas zu verkaufen …
    »Würden Sie mir bitte einen Block und einen Stift geben?«, bat ich Mr Alkan.
    Er schob mir beides zu. Ich nahm den Stift und schrieb:
    Emily Howard Morgan
    24. Juli 2003 – 18. Januar 2007
    Geliebte Tochter
    Dann schob ich ihm den Block wieder hin.
    »Können Sie sich darum kümmern?«, bat ich.
    »Natürlich. Und wenn Sie das Grab besuchen möchten …?«
    »Das … das kann ich nicht. Dafür ist es noch zu früh.«
    Ich hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen, weil ich es immer noch nicht schaffte, das Grab meiner Tochter zu besuchen. Doch sosehr ich mich auch dazu zwang, sagte mir eine innere Stimme genau zwei Worte: Noch nicht. Aber irgendwann würde ich es bestimmt schaffen, an ihrem Grab zu stehen, ohne zusammenzubrechen. Doch noch war dieser Moment nicht gekommen.
    »Kein Problem«, sagte Alkan. »Ich werde mich um alles kümmern.«
    Nach diesem Treffen ging ich in ein Internetcafé. Dort buchte ich einen Flug nach Portland, Oregon, mit einem zweitägigen Zwischenstopp in Calgary. Ich schickte auch Geraldine Woods eine Mail und dankte ihr für ihr Entgegenkommen und ihre Anständigkeit.
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