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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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als ich mein Zimmer verließ, um den sinnlosen Mord zu begehen, ein kleiner halbzerrissener Zettel vor meiner Türe, der mich am anderen Tage bei einem angegebenen Beamten der Verwaltung erscheinen hieß.
    Das Zimmer, in welches ich gewiesen wurde, lag in einem großen Haus der Innenstadt, das einmal eine Schule gewesen sein mußte und jetzt im zweiten Stock verschiedene Räume der Verwaltung enthielt. Die Treppen waren alt und schmutzig, abgenutzt von unzähligen trampelnden Schuhen, in den Fenstern fehlten verschiedene Scheiben, aus einem Korridor hörte ich von irgendwoher eine alte Standuhr ticken, und ein anderer war versperrt mit aufeinandergetürmten alten Schulbänken. Im Parterre und im ersten Stock schienen Wohnungen eingerichtet worden zu sein; ein kleines Kind kroch mir auf einmal blitzschnell zwischen den Beinen hindurch und verschwand in irgendeinem der Gänge. Im zweiten Stock hatte ich geraume Zeit zu suchen, denn die Zimmer waren nicht nach der Reihenfolge, sondern planlos numeriert, außerdem waren die Korridore hier finsterer als im unteren Stockwerk. Auch konnte ich 114

    erst hier durch ein offenes Fenster hindurch feststellen, daß ich mich in einem rechteckigen Gebäude befand, das einen gepfla-sterten Hof umgab, in welchem eine wilde Unordnung herrschte. Verrostete Fahrradgestelle lagen herum, zusammengebro-chene Gartenstühle, zerschlagene Schreibmaschinen, verbeulte Gefäße und ein bunter Kinderball. In der Mitte stand ein verfaultes Harmonium neben einer auseinandergenommenen alten Matratze, in der sich junge Katzen balgten. Quer über den Hof war ein Seil mit Wäsche gespannt, die, ganz zerschlissen und vergilbt, offenbar schon lange hing. Zwischen den Pflastersteinen wucherte hohes Gras. Ich wandte mich vom Fenster weg und suchte weiter. Der Boden des Korridors war mit abgetretenem Linoleum ausgelegt. Es war totenstill, nur ungewiß glaubte ich einmal eine Schreibmaschine zu vernehmen. Wie ich endlich die angegebene Ziffer fand und klopfte, wurde die Türe von einem noch jüngeren Mann geöffnet, der nicht unsorgfältig mit einem grauen Hemd, einem weißen Leinenkittel und einer grauen Hose bekleidet war, doch fehlte die Krawatte. »Verzeihen Sie«, begrüßte er mich, »die Anordnung der Numerierung wird Ihnen Mühe gemacht haben. Es sammeln sich hier mit der Zeit von allen Departementen Bureaus an, leider mit ihren eigenen Nummern, und so ist die Verwirrung entstanden, ein unnötiger Zeitverlust für den Besucher.« Er bot mir einen etwas beschädigten, doch beque-men Lehnstuhl mit Ohrenklappen an und nahm auf einem gewöhnlichen Holzstuhl Platz, der hinter einem alten Tische stand, der so primitiv war, daß er einfach einem Brett mit vier Beinen glich. Auf dem Tisch befanden sich eine Papiermappe und ein gelber Bleistift, sonst nichts. »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte er, indem er die Mappe aufschlug.
    »Sie sind von der Verwaltung«, antwortete ich, verwundert, daß ich so viel günstiger saß als er, aber auch von seinem Dank verwirrt. »Ich habe nicht zu überlegen, sondern zu gehorchen, wenn Sie mich herbefohlen haben. Sie verfügen 115

    über die Polizei und können anordnen, was Sie wollen.«
    »Sie waren Soldat«, entgegnete der Beamte, »und schätzen uns nach militärischen Gewohnheiten ein. Die Verwaltung ist jedoch anderer Art, und so ist Ihr Schluß falsch.« Er sprach ruhig und sachlich, als handle es sich um Mathematik, und fuhr fort: »Wir können in Ihrem Falle nicht befehlen, Sie sind ja nicht einmal eingeteilt. Wenn jemand nicht zu uns kommen will, müssen wir ihn besuchen, eine oft zeitraubende Arbeit.
    Auch kommt es vor, daß wir nicht empfangen werden, und dann sind wir machtlos. Die Fälle, in denen wir durch die Wärter eingreifen können, sind streng begrenzt.«
    »Was nennen Sie Wärter?« fragte ich.
    »Wir meinen damit die Polizei. Die Verwaltung braucht für sie die Bezeichnung Wärter.«
    »Und was will die Verwaltung von mir?« fragte ich und betrachtete das Zimmer. Außer dem Tisch und den zwei Stühlen enthielt es noch einen Ofen. Das Fenster wies sorgfältig gereinigte Scheiben auf und ging nach dem Hofe; eine fehlende Scheibe war mit einem grauen Karton ersetzt. Die Wände waren aus Holz und vollständig kahl, doch von einer peinlichen Sauberkeit.
    »Ich muß versuchen, Sie einzuteilen«, antwortete der Beamte und nahm ein Blatt aus der Mappe. »Sie haben mich vielleicht schon gesehen. Ich wohne ganz in Ihrer Nähe. Auch stand ich
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