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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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halben Stunde liegt ein dumpfes Grollen in der Luft. Nein! Ich habe keinen Durchfall und furze nach innen … es kommt aus Richtung Weichsel … Was? Ich soll keine Latrinenparolen verteilen? Jawoll, Herr Kreisleiter, ich habe eben auch den Reichspropagandaminister gehört, ein wunderbarer Artikel, jawoll … natürlich glaubt auch in Adamsverdruß jeder an den Endsieg, Adamsverdruß steht geschlossen hinter dem Führer … aber das ferne Grollen, Herr Kreisleiter, jawoll, ich war schon scheißen … der Wind trägt das Grollen mit sich … Ich verstehe, Herr Kreisleiter, hat nichts zu bedeuten, unsere Truppen haben die Sowjets zurückgeschlagen. Jawoll, das wird es sein! Heil Hitler!«
    Felix Baum legte den Hörer auf und wischte sich den Schweiß ab. »Ihr habt's gehört«, sagte er schwach. »Mensch, war das ein Anschiß! Übermorgen ist er hier. Dann schicke ich ihn zu euch!«
    »Nur immer ran.« Paskuleit ging zum Fenster und riß es auf. Das Grollen war deutlich zu hören, aber irgendwie nicht greifbar, so weit weg war es. Baum zog die Schultern hoch.
    »Ich sitze doch nicht auf 'n Ohren!« sagte er. »Und nun? Sollen wir packen?« fragte Jochen Kurowski.
    »Packen? Wieso denn? Wollt ihr Panik machen? Nur weil's ganz weit donnert?«
    »Haste mal auf die Landkarte geguckt?« Paskuleit holte aus seinem Sonntagsrock einen Bleistift und begann, auf der Tischdecke die Umrisse von Ostpreußen zu malen. Ganz unten, an der Grenze zu Polen, wo sie einen langen schwachen Bogen bildete, machte er ein Kreuz. Adamsverdruß. Baum verzichtete darauf, gegen die Bemalung seiner weißen Tischdecke zu protestieren. Wenn Julius Paskuleit etwas demonstrieren wollte, mußte man das hinnehmen.
    »Na und?« fragte er bloß. »Ich hatte in Heimatkunde ›gut‹ auf der Schule.«
    »Hier ist die Weichsel. Hier steht der Russe! Zwischen ihm und uns ist Flachland. Und der Russe hat Panzer, die fahren so schnell wie ein Auto. Die verfluchten T34!«
    »Und wir haben die Tiger-Panzer, die Leoparden …«
    »Aber keinen Sprit, du Rindvieh!«
    »Alles dumme Reden!« Felix Baum stellte die Marschmusik wieder lauter. Er brauchte seelische Stütze. »Das sind die neuen Dolchstöße in den Rücken! Noch nie waren unsere Armeen besser ausgerüstet wie jetzt!«
    »Und die Rückzüge, du Schaf?« brüllte Opa Jochen.
    »Strategische Frontverkürzungen. Je enger und kleiner die Hauptkampflinie, um so wuchtiger die Schläge! Wir lassen den Iwan kommen, immer kommen … und dann krachbum gibt es konzentriertes Feuer! Glaubt mir, der Führer weiß, was er will! Er ist ein Genie!«
    »Das ist mir wurscht!« sagte Paskuleit. »Mir geht es allein um Erna und die Kinder. Ich evakuiere sie.«
    »Das ist Verrat, Julius!« schrie Felix Baum. »Der deutsche Osten ist das sicherste Land! Wo soll denn Erna überhaupt hin?«
    »Nach Krefeld. Dort hat sie eine Tante wohnen.«
    »Hat man so etwas Idiotisches schon gehört?« rief Baum. »Nach Krefeld! Wo jeden Tag die Bomben fallen! Ins Ruhrgebiet, aus dem sie uns die Ausgebombten hierher schicken! Jochen, mach ihm einen Hirnwickel! Aber eiskalt! Die Gauleitungen im Westen bringen Frauen und Kinder bei uns in Sicherheit – weil der deutsche Osten ein starker Schild ist! – und dieser Hammel will Erna und Ewalds Kinder in den Westen bringen!«
    »Es ist die Frage, was besser ist: Bomben oder Russen! Der Onkel in Krefeld ist irgendein hohes Tier in der Partei … er wird Erna gut unterbringen!«
    »Nach Ostpreußen wird er sie schicken!« schrie Baum.
    »Es hat keinen Sinn.« Paskuleit stand auf und winkte Jochen Kurowski zu. »Komm, Opa. Ich warte nicht, bis die russischen Panzer vor der Tür stehen! Ich fahre morgen nach Johannisburg ins Lazarett. Ich habe dort noch Stiefel abzuliefern und laß mir mal von den Neuen erzählen, wie's an der Front wirklich aussieht.« Er tippte Baum gegen die Brust und freute sich über die Unsicherheit in dessen Augen. »Dann kann ich dir mehr erzählen als dein Goebbels! Wehrmachtsbericht aus erster Hand. Schönen Sonntag, Felix.«
    »Heil Hitler!« sagte Felix Baum trotzig.
    Er blickte durchs Fenster Paskuleit und Kurowski nach. Das ferne Grollen hatte aufgehört, der Frieden des Sonntags lag über dem Land, eine helle Fröhlichkeit strahlte aus den Birkenwäldern und floß aus dem unendlichen Blau des weiten Himmels.
    »Sie kommen nie, die Russen«, sagte Baum leise. »Sie dürfen nicht kommen. Unser schönes Land …«
    Er sah, wie Ortsbauernführer Johannes Lusken die gelähmte
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