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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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und Chauffeur durch das Tessin ermöglicht. Die Agentur der Agentin hatte auch das Essen organisiert und die Gäste mental gecastet. Wir alle waren auserwählt worden, allerdings sollte mir erst viel später klar werden, wozu.
    Ich übernachtete bei einem Freund in der Budapester Straße, und am nächsten Morgen fuhr ich mit einem schwedischen Militärfahrrad aus seinem Besitz am Tiergarten entlang Richtung Potsdamer Platz.
    Die Sonne schien und verbreitete diese angenehme, nicht zu warme Wärme, die im Frühling häufiger auftreten kann. Auf dem Gepäckträger beförderte ich ein Paket mit Vorhängen, die ich vor dem Neuköllner Fenster meines Sohnes anbringen wollte. Ich erwähne das nur, weil das möglicherweise auch ein Warnsignal gewesen sein könnte. Das Fahrrad vibrierte ein wenig, so als ob ich kleine Bodenwellen im Asphalt überquerte. Ich wich einem Taxi aus, wurde gegen meinen Willen langsamer, ein holländischer Reisebus fuhr langsam vorbei, ich rollte auf den Bürgersteig, kam zum Stehen und fiel um.
    Mehrere Fußgänger waren auf mich aufmerksam geworden und sahen mir interessiert zu. Das Aufstehen erwies sich als ungewöhnlich schwierig, aber ein schwedisches Militärrad ist relativ schwer und unförmig, wahrscheinlich setzen sie es da oben als panzersprengende Waffe ein. Der Fahrer des Taxis, dem ich ausweichen musste, zog mich schließlich unter dem Rad hervor und fragte, ob ich betrunken sei. Ich sagte: »Mit mir ist alles in Ordnung.« Er blickte mich mitleidig an und erwiderte: »Nein, mit Ihnen ist gar nichts in Ordnung.« Dann hörte ich eine Frau in ihr Handy sprechen: »Wir brauchen einen Notarzt, hier liegt eine hilflose, orientierungslose Person.« Ich kam mir vor wie in einem Film, wo der Held plötzlich begreift, dass er von lauter Außerirdischen umgeben ist.
    Da fiel mein Blick auf meinen linken Arm, der wild herumzuckte, aber ich konnte irgendwie keine Verbindung zu ihm aufnehmen – er führte ein unheimliches Eigenleben. Ich berührte ihn mit der rechten Hand und fühlte nichts. Es war ein völlig fremder Arm, jedenfalls hatte ich ihn noch nie an meinem Körper gesehen. Ich spürte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach. Die Sache schien ernster zu sein. Irgendwo lag wahrscheinlich noch mein richtiger Arm herum, aber wo war das Ding her, dass da jetzt links an mir herumzuckte? Anscheinend war ich hier der Außerirdische.
    Schließlich tauchten zwei Polizisten auf und wollten wissen, ob ich betrunken sei. Das schien vormittags um elf Uhr in Berlin die Regel zu sein. Die hätten lieber die Sache mit dem Arm aufklären sollen, aber das konnte ich ihnen nicht sagen, denn meine Zunge gehorchte mir genauso wenig wie mein Arm. Dann kam der Notarztwagen, man setzte mich in einen Rollstuhl, und eine Hebebühne beförderte mich ins Innere des Mobils. Der Notarzt fragte nach meinem Befinden, und ich lallte: »Na ja ...« Er schaute mich prüfend an und teilte mir voller Begeisterung mit: »Tja, Sie hatten einen Schlaganfall.« Dann diagnostizierte er routiniert: »Hängender Mundwinkel links, kalter Schweiß, kein Gefühl in den linken Extremitäten ...« Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen: »Sie liegen gut im Zeitfenster.« Wenn der Schlaganfall innerhalb von drei Stunden behandelt werde, bestünden hervorragende Heilungschancen. Ich war froh, dass ich gut im Zeitfenster lag, sehr froh, ich hatte nämlich mein ganzes Leben lang immer nur sehr schlecht im Zeitfenster gelegen, oft hatte ich es gar nicht gefunden.
    Ich konnte meine Personalien fehlerlos herunterlallen, ich konnte sogar noch veranlassen, dass die Polizisten das schwedische Militärrad sicherten, weil ich mich problemlos an die Eselsbrücke für das Zahlenschloss erinnerte: Kolumbus plus vier, also 1496. Ein Beamter schob das Paket mit den Vorhängen in den Wagen, und dann wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Blaulicht durch Berlin gefahren. Das war großartiger, als mit Chauffeur durch das Tessin kutschiert zu werden, und ich hatte es ganz ohne Agentin geschafft.
    Während der Fahrt zur Charité hielt ich den linken Arm mit dem rechten fest, weil es mir peinlich war, vor dem Notarzt unkontrolliert herumzuzucken. Am Ende hielt er mich noch für einen echten Kranken.
    Der Arzt erklärte mit wachsender Begeisterung, es sei alles für eine Lysetherapie vorbereitet, bei der mein Blut stark verdünnt werde, was die Folgen des Schlaganfalls rückgängig machen würde. Am Ende säße ich wahrscheinlich wieder auf meinem
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