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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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ich?«
    Brot-Watching
    Ein älterer, sehr gediegen wirkender Mann findet in der U-Bahnlinie 3 ein kleines Päckchen, das mit Alufolie umwickelt ist. Er lugt vorsichtig unter die Folie und stellt fest, dass es sich um Schulbrote handelt. Es entspinnt sich eine längere Diskussion mit einer ihm schräg gegenübersitzenden Dame.
    In meiner Stadt gibt es jede nur denkbare Schulform und deshalb ist mir, der ich auch in der U3 sitze – sonst hätte ich das ja gar nicht erzählen können –, also mir ist sofort klar: das sind International Schoolbrote. Reiche Ausländerkinder ließen die Alubrote liegen. In der Waldorfschule würde es niemand wagen, sein Kind mit Alufolienbroten loszuschicken, da benutzt man Filz oder Wolle. Auf der integrierten Gesamtschule kommt zwar Alufolie zum Einsatz, aber danach wird das nochmal mit Pergamentpapier umwickelt.
    In der Bahn diskutieren der Mann und die Frau über die Frage: Was macht man jetzt? Fundbüro scheidet aus. »Essen Sie die doch selber«, rät die Frau, aber davor scheut der Mann dann doch zurück. Man weiß ja nicht, wer das vorher alles angefasst hat. Die Frau rät, die Brote an »die Tiere« zu verfüttern, was sofort die Zustimmung des Mannes findet.
    Doch welche Tiere ernähren sich eigentlich von Schulbroten? Vielleicht Wale, die leben ja in Schulen zusammen. Oder der Schulschnabel? Aber den gibt es gar nicht. Nach ein paar Minuten des Schweigens fällt der Frau ein, sie kenne aber auch arme Leute, die für solche Brote dankbar wären. Sie hat erst vor kurzem einen gesehen, der hatte wirklich Hunger. Der Mann nickt bestätigend, allerdings, gibt die Frau zu bedenken, sind diese hungrigen armen Menschen nie zur Hand, wenn man etwas zu essen für sie dabei hätte.
    Es müsste ein Schulbrotsorgentelefon geben, oder wäre da die Post gefragt? So, wie man Hotelschlüssel einfach in den Briefkasten werfen kann und sie werden dem Hotel wieder zugestellt, müsste das auch mit Schulbroten gehen. Die bekommt dann ein der Post bestens bekannter hungriger Mensch, oder die Brote gehen gleich nach Afrika. Schulbrot für die Welt. Wenn es da ankommt, ist es bestimmt nicht mehr frisch, aber ich erinnere mich an einen Spruch, den ich in meiner Kindheit in einer Bäckerei gelesen habe: »Altes Brot ist nicht hart – kein Brot, das ist hart.«
    In der U-Bahn wird schon seit zwei Stationen bedeutungsschwer geschwiegen. Dann sagt die Frau ziemlich bestimmt: »Ist wohl doch das Beste, Sie geben die Brote den Tieren.« »Den Tieren?«, fragt der Mann. »Ja, geben Sie’s den Tieren«, sagt die Frau. Der Mann erhebt sich, steigt in tadelloser Haltung mit dem Aluschulbrotpaket aus und schaut sich sofort suchend nach den Tieren um.
    Archivgefahren
    Heute wurde gemeldet, dass Ausdünstungen von Elefantenkot die Stahlträger des Elefantenhauses im Münchener Tierpark Hellabrunn ruiniert und das Gebäude fast zum Zusammenbruch gebracht hätten. Das wäre endlich eine plausible Erklärung für den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. In einem Archiv beschäftigen sie bestimmt gerne Elefanten, weil die so ein gutes Gedächtnis haben. Auch in Marbach sollten sie mal unauffällig in den Personalakten nachschauen, wer eine abgeschlossene Ausbildung als Elefant hat.
    Abstottern
    Ich frage mich, ob der Oscar-Erfolg von »The King’s Speech« zu einem Stotterboom führen wird. Wäre ja möglich, dass Jugendliche gerne stottern lernen wollen, weil sie sehen, dass man es damit im Filmgeschäft sehr weit bringt. Hat eigentlich jemals ein Schauspieler vernichtende Kritiken bekommen, weil er eine Behinderung nicht glaubwürdig dargestellt hätte? »Der schlechteste Blinde aller Zeiten« oder »Ein völlig unglaubwürdiger Autist«, oder auch »Da haben wir aber schon bessere Querschnittsgelähmte gesehen«.
    Über große Entfernungen reden
    Seit heute habe ich ein Smartphone. Eins von diesen Dingern, mit denen man überall ins Netz kann, obwohl es gar kein Festnetzanschluss ist. Das Smartphone weiß unglaublich viel, aber wenn mich jemand anruft, kann ich nicht einfach irgendwo draufdrücken und das Gespräch annehmen, sondern das Smartphone befiehlt mir: »Nach oben streichen«, und erst wenn ich es schaffe, die Seite nach oben zu streichen, kann ich auf »Annehmen« tippen. Aber es ist gar nicht so leicht, mit klebrigen oder glatten Fingern »nach oben« zu streichen. Jedes dritte Gespräch entgeht mir auf diese Weise, weil meine Finger wohl zu doof für das Gerät sind. Dabei habe ich das Telefonieren von
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