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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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der Pieke auf gelernt. In meinen ersten neun Lebensjahren habe ich nur bei Enid Blyton vom Telefonieren gelesen, weil wir auch keinen Fernseher hatten, wo ich hätte sehen können, wie Lassie telefonisch Hilfe holt.
    Wenn wir wirklich mal telefonieren mussten, dann wurde das generalstabsmäßig geplant. In unserer Verwandschaft gab es nur wenige Telefonbesitzer, und falls wir beabsichtigten, ein längeres Gespräch mit ihnen zu führen, dann schrieben wir ihnen vorher eine Postkarte, auf der wir mitteilten, wann wir anrufen würden. Es wäre ja zu dumm gewesen, wenn wir ganz umsonst zur Telefonzelle gegangen wären.
    In der Zelle stand nämlich immer jemand, und vor der Zelle stand auch mindestens eine Person. Dahinter stellten wir uns an und warteten. Dauerte es zu lange, weil jemand ein Beziehungsgespräch führen musste, in einer Zeit, als das Beziehungsgespräch noch gar nicht erfunden war, dann klopfte man gegen die Zellenscheiben, öffnete auch schon mal ungehalten die Tür, umrundete ständig die Zelle, solange bis der Dauertelefonierer dem Terror nicht mehr gewachsen war und die Beziehung beendete.
    Telefonieren war eine aufregende Angelegenheit. Ferngespräche führte man nur nach 18:00 Uhr, denn da war alles billiger. Ich weiß nicht mehr, warum wir überhaupt jemand anrufen mussten, wahrscheinlich um das nächste Gespräch zu verabreden. Man hatte sich jedenfalls nicht viel zu sagen. Die meiste Zeit versicherte man sich, dass man den anderen erstaunlich gut verstehen konnte oder dass es da so komisch knackte oder raschelte. Außerdem erklärte man, wo man gerade war, wie lange man gewartet hatte, um dieses Gespräch zu führen, und wie viele Leute sich inzwischen wieder vor der Zelle versammelt hatten. Man brüllte so laut man konnte, weil man dem Prinzip der Übertragung von Stimmen über große Entfernungen durch dünne Kabel grundsätzlich misstraute.
    In den Telefonzellen roch es nach einem faszinierenden Gemisch aus Schweiß, kaltem Rauch, nassem Hund, mit einem Hauch von Kölnisch Wasser oder Doppelkornaroma, dazu kam immer noch feuchtes Papier, denn wenn es regnete, stellte man sich auch gerne in einer Zelle unter, simulierte ein Gespräch und tropfte dabei das Telefonbuch voll.
    Dass es irgendwann mal schnurlose Telefone geben würde, die so klein sind, dass man sie in die Tasche stecken kann und mit denen Männer ihre Frauen aus dem Supermarkt anrufen, um zu fragen, wo die Mayonnaise steht und ob sie sechs oder zehn Eier mitbringen sollen und die dann ein Foto der Eier bei Facebook einstellen, das hätte ich wirklich nie geglaubt.
    Dr. Adolf Klenk
    Mein Lieblingsheld in der Werbung ist Dr. Adolf Klenk, der weißbekittelte Laborchef der Alpecinforschungsabteilung. Er ist der Erfinder des »Glatzenrechners«. Ich weiß nicht genau, was das ist, doch ich stelle mir vor, man kann damit auf Glatzen schriftlich Malnehmen oder Bruchrechnung machen. Aber wahrscheinlich keine Haarwurzeln ziehen.

2011
    März
    Buchmessengedanken
    Axolotl Roadkill, die bezaubernde Klebearbeit der zwölfjährigen Helene Hegemann, hat den Buchmarkt vor einiger Zeit gehörig durcheinander gewirbelt. Nachdem bekannt wurde, dass sie nicht unerhebliche Teile ihres Textes wortwörtlich aus anderen Büchern übernommen oder, wie sie sich ausdrückte, gesampelt hatte, erkannten die Verlage ihre Chance. Wozu noch neue Bücher verlegen, es gibt ja sowieso schon zu viele alte. Die könnte man ja ein wenig auffrischen. Auf der Leipziger Buchmesse präsentieren sich deshalb viele alte Bekannte in völlig neuem Gewand:
    Franz Kafka – The Mastermixes, erschienen bei Fischer/Fischer & Fischer.
    Die Werke des genialen Paranoikers bilden den Grundstock jeder seriösen Büchersammlung. Doch die 1. Abmischung seines Prager Produzenten Mad Max Brod hält heutigen Qualitätsansprüchen kaum mehr stand. Der Fischer Verlag, Kafkas alte House-Firma, beauftragte ein junges Produzententeam mit einer Neubearbeitung. Als Grundlage dienten alte Demoseiten und Masterpages. Auch in dieser neuen Abmischung ist der typisch kafkaeske Lesegroove erhalten geblieben, dafür klingt jetzt alles viel klarer und transparenter. Das liegt daran, dass der Text erstmals in Mono vorliegt.
    Amerika – der Dance-Mix, erschienen bei Fischer Hip-Hop-Junior, eine Produktion, die sicherlich einige Literaturfreunde verschrecken wird, doch den Produzenten ist hier etwas Erstaunliches gelungen. Sie erhöhten die Grundgeschwindigkeit der Seiten auf 30-45 Verben pro Minute und
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