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Aurora

Aurora

Titel: Aurora
Autoren: Alastair Reynolds
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zu werden. Du hattest überlebt, wo alle anderen umgekommen waren. Sie schufen einen Roboter und über-spielten ihm deine Alpha-Simulation, in der Hoffnung,
    etwas in diesen Gehirnmustern könnte den Erfolg brin-
    gen.«
    Der Uhrmacher hörte ihm zu. Er hatte ihn noch nicht ge-
    tötet. Aber vielleicht plante er ja etwas Schlimmeres, eine geniale neue Tortur, neben der selbst Jane Aumoniers elf-jährige Schlaflosigkeit wie eine Wohltat erschiene.
    »Sie müssen dich in einen Schleier geschickt haben«, fuhr Dreyfus fort. »Einen Schleier, der nur wenige Lichtjahre von Yellowstone entfernt war, nur so konntest du hin und wieder zurückfliegen, bevor du im SIKM auftauchtest. So war es doch? Du wurdest als Maschine, auf der Philip Lascailles Alpha-Simulation lief, in den Schleier geschickt, und als du zurückkamst, warst du ... verändert, genau wie Philip so viele Jahre zuvor. Etwas hatte dich im Innern des Schleiers neu erschaffen. Du warst immer noch eine Maschine, aber jetzt warst du eine Maschine mit fremden Teilen. Und du warst zornig. Du warst mehr als zornig. Du warst eine Maschine, die wusste, dass ihr Geist einem unschuldigen Menschen gestohlen worden war, einem Mann, den bereits die Erlebnisse bei seiner ersten Reise ins Innere des Schleiers fast um den Verstand gebracht hatten.«
    Der Uhrmacher beugte sich immer noch über Dreyfus,
    der mantrahafte Rhythmus seines Summens erfüllte das
    Bewusstsein des Präfekten und verdrängte alles rationale Denken. Dreyfus hätte geschworen, seinen Atem zu spü-
    ren, einen kalten, metallischen Hauch, eine Brise aus Stahl.
    Aber Maschinen atmeten nicht.
    »Ich weiß nicht, wie du im SIKM gelandet bist«, fuhr
    Dreyfus fort, »aber ich nehme an, du kamst schlafend aus dem Schleier zurück. Die Forscher, die dich dorthin geschickt hatten, wussten nicht so recht, was sie von dir zu halten hatten. Sie wussten, dass ein fremdartiges Wesen zu-rückgekehrt war, aber sie verstanden nicht einmal ansatzweise, woher du wirklich kamst, was du für Fähigkeiten
    hattest und was dich antrieb. Also verlegten sie dich in diejenige Sylveste-Organisation, die sich am besten darauf verstand, das Wesen einer künstlichen Intelligenz zu erforschen. Die Wissenschaftler im SIKM hatten höchstwahrscheinlich keine Ahnung, wo du gewesen warst. Man
    wiegte sie in dem Glauben, du wärst das Produkt einer anderen Forschungsabteilung innerhalb desselben Instituts.
    Und zunächst warst du ja auch sehr entgegenkommend,
    nicht wahr? Du warst wie ein neugeborenes Kind. Sie
    waren entzückt von deinen raffinierten kleinen Erfindungen. Währenddessen hast du dich Stück für Stück daran erinnert, wer du wirklich warst. Die Wut in deinem Innern wuchs immer weiter und suchte nach einem Ventil. Du
    warst in Angst und unter Schmerzen geboren worden. Des-
    halb hieltest du es natürlich für deine Bestimmung, Angst und Schmerz in der Welt zu verbreiten. Und das hast du
    getan. Du hast deinen Amoklauf angetreten.«
    Nach einem Schweigen, das Jahrhunderte zu dauern
    schien, ergriff der Uhrmacher abermals das Wort. »Philip Lascaille ist tot.«
    »Aber du erinnerst dich an ihn, nicht wahr? Du erinnerst dich, wie es sich anfühlte, er zu sein. Du erinnerst dich auch noch, was du das erste Mal im Schleier gesehen hast.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil ich dein Gesicht in Delphines Skulptur wiederer-
    kannt habe. Du hast ihre Kunst als Kommunikationsmittel benützt, sogar als Gefangener konntest du über sie eine Verbindung zur Außenwelt herstellen.«
    »Du kanntest Delphine?«
    »Ich lernte sie erst nach ihrer Ermordung kennen, über
    ihre Beta-Simulation.«
    »Warum wurde sie ermordet?«
    »Das war Auroras Werk. Sie wollte dich vernichten. Del-
    phine und ihre Familie kamen ihr dabei in die Quere.«
    Das Summen wurde langsamer, nun klang es nachdenk-
    lich. »Und die Beta-Simulation?«
    »Aurora hat einen Weg gefunden, auch sie zu zerstören.«
    »Dann hat sie Delphine zweimal ermordet.«
    »Ja«, sagte Dreyfus überrascht. So hatte er das noch nie gesehen.
    »Also wurde ein weiteres Verbrechen begangen. Bist du
    deshalb hier? Um ein Verbrechen aufzuklären?«
    Dreyfus blickte zurück auf die Geschehnisse, seit er zum ersten Mal von der Zerstörung der Ruskin-Sartorius-Blase gehört hatte. Mit jedem Schritt hatte der Fall weitere Kreise gezogen, bis er sich schließlich zu einer veritablen Katastrophe ausgewachsen hatte, zu einer Krise, in der sich das künftige Schicksal des Glitzerbandes entscheiden
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