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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman
Autoren: PeP eBooks
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den Kopf zurück und schloß die Augen, wobei sie fest die Hände ballte und ein keuchendes kurzes Einatmen hören ließ. » Willst du nicht erst allein zu ihm gehen?«
    Joachim nickte, und die Schwester schob die Glastür auf.
    Karl lag in einem hochgestellten Bett, bedeckt mit einer dünnen Decke, unter der sich sein Körper abzeichnete. Über Kabel und Schläuche hing er an der Überwachungseinheit und schwamm in schmerzloser Euphorie, die über eine Infusionseinrichtung in ihn hineingetröpfelt wurde. Er hörte, wie Maria draußen schluchzte, und spürte, wie Joachim seine Hand berührte. » Wie geht es dir, Papa?«
    » Joachim, endlich…« Er glaubte nach Joachims Hand zu greifen. Sein Bewußtsein kam und ging. Eine Ewigkeit von irgend etwas lag bereits hinter ihm und eine ebenso dunkle Ewigkeit von irgend etwas noch vor ihm. Dazwischen durchflutete ihn ein weltentiefes Sehnen nach Harmonie und Schönheit, mit der er seine Lebenszeit verbracht hatte. » Wir haben nicht mehr viel Zeit füreinander…« Mit der freien Hand fuhr er hin und her über die dünne Decke, als wollte er etwas einsammeln. Ein verlorenes Lächeln umspielte seine Lippen. » …dann ziehen wir wieder gemeinsam über die Felder wie damals im Kuhländchen.« Er versuchte, sich aufzurichten. » Versprich mir, daß die Gäule galoppieren…«
    Erschöpft ließ er sich zurücksinken. Joachim setzte ihm die kleine Mozart-Puppe auf das Bettende. » Das hat mir Franziska für dich mitgegeben.«
    Er glaubte seinen Sohn gefragt zu haben: » …hast du sie mitgebracht?«, und versuchte, sich wieder aufzurichten. Angestrengt blickte er hinüber zu dem Sichtfenster. Die Nachtschwester hatte die Trennungsjalousie aufgezogen, und neben Maria schien Franziska zu stehen. Sie lächelte, während sie ihm mit einer Gebärde unsagbarer Zärtlichkeit zuwinkte. » Fränzchen, ach– mein Fränzchen.«
    Er hob die Hand und ließ sich in die Kissen zurücksinken. Er schloß die Augen und fing an, mit kaum hörbarer Stimme vor sich hin zu singen.«Manzanicas coloradas, las que vienen de Stambol…«
    Vielstimmige Töne und klagende Quetschlaute kehliger Frauen- und Kinderstimmen erfüllten von weit her kommend den Raum. Er schwebte über dem Flußbett der untergehenden Sonne entgegen. Sein Mund war leicht geöffnet, und warmer Abendwind flutete ihm sanft durchs Haar. Unter ihm glitten die Zinganas auf ihrem Floß den breiten Strom hinunter, und der weißhaarige alte Mann mit dem roten langen Mantel, der zu ihm heraufwinkte, sah aus wie sein sanfter Vater. Er ließ sich fallen und umfaßte die Gestalt mit der selbstauslöschendsten Umarmung, die er in seinem ganzen Leben je einem Menschen geschenkt hatte. Danach spürte er, wie eine gewaltige Ruhe über ihn kam, eine Ruhe, frei von Gedanken, ohne Zweck und ohne Verlangen, die aus den dunklen Speichern des Lebens vor der Geburt herrührte, ihn überflutete und beruhigte.

Saint-Tropez – einen Monat später
    Unterhalb der Ruine des Donjon, direkt an der Felsenküste, liegt der Friedhof von Saint-Tropez, wo die Toten in ihren steinernen, streng zum Meer hin ausgerichteten Gräbern nur die Köpfe anheben müssen, wenn sie hinaus in die Unendlichkeit des Horizonts blicken wollten. Wolkenschleier trieben am Himmel wie die verstreuten Federn großer Albatrosse in einem milchfarbenen Ozean, und darüber wölbte sich ein bleicher, schwefelfarbener Nebel, als bestünde die Luft des Universums aus flockigem Blütenstaub. In diesem dampfenden Leuchten aus Weiß und Gelb brach plötzlich an einer einzigen Stelle der Himmel durch, ein tiefblauer Teich, aus dem man glaubte, mit den Händen die reine Glückseligkeit schöpfen zu können. Wie der Eingang zu einer unbekannten Dimension, dachte Joachim und atmete die Luft, die nach dem Seetang und der Meeresgischt schmeckte und sich mit dem Harz des Pinienhains mischte, der den Friedhof von der Zitadelle trennte. Er fühlte einen schamlosen Schauder des Entzückens. Die Gegenwart des Todes schien alle Dinge, die er wahrnahm, neu zu erschaffen und mit besonderer Intensität zu beleuchten.
    Er war schon vorausgeeilt und wartete jetzt am schmiedeeisernen Gitter des Friedhoftors auf die beiden Frauen, die Arm in Arm zu Fuß die Rue Cavaillon heraufkamen.
    » Wissen Sie, Maria, ich habe immer gewußt, daß er einmal vor mir sterben würde. Wenn wir uns also schon nicht mehr treffen konnten, so hatte ich mir doch wenigstens vorgenommen, sein Grab zu besuchen, auf meiner Rückreise von Wien
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