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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen
Autoren: Michael Koehn
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weg, lebte und starb fünf Jahre lang, genauso lange, wie sein Kontrakt es vorsah. Er lernte das Handwerk des Tötens und perfektionie r te es. Und zu lernen, an hunderten Schuldiger, war ja nicht verkehrt, b e hauptete der Staat, dem er diente; also tötete er im befohlenen Rausch Kinder, Weiber, Männer, und wenn ihm was zum Ficken unterkam, egal was, nahm er das auch mit.
    Er erwarb in kürzester Zeit das Képi blanc. Erneuert hatte er den Ko n trakt mit der Legion trotz der Aussicht auf Ruhm, Ehre und Beförderung nicht. Er wollte nicht. Er konnte die Schreie der Hilflosen und Gequälten nicht mehr hören; er war satt von Schweiß, Blut und Tränen. Nur Abscheu blieb, Hass – die alles verzehrende Flamme und davon hatte er genügend. Auch deshalb ging er zurück, nach Berlin, dort zuerst zum Grab der Mu t ter. Ungepflegt sah es aus. Vater hatte sich nie gekümmert, wurde ihm klar. Und das machte es nicht besser. Seine Mutter hatte sich wegen dem umgebracht. Doch das zu behaupten, wäre zu einfach ...
     
    Eines stand aber fest: Er hasste seinen Vater – immer noch. Eigentlich mehr noch als früher. Schon weil er nun zusätzlich immer diesen Schei ß haufen an Schuld mit sich herumschleppen musste. Den Krieg, die Han d granatenexplosionen, das überlaute Töten, das rattern von Maschineng e wehrfeuerstößen, den Tinnitus, die nächtlichen Albträume, die irren Schreie, die ihn jede Nacht weckten.
    Ja, seine Zeugung hätte sich der Alte sparen können. Und bei dem G e danken rotz t e er jedes Mal freudig auf den Boden.
     
    Bevor er nach seinem Vater zu suchen begann, traf er sich mit ehemal i gen Kumpanen seiner Jugend. Gespannt war er, wie es denen in den vi e len Jahren ergangen war. Doch das Treffen war enttäuschend und viel Neues erfuhr er auch nicht. Deren Leben war öde abgelaufen wie schon immer.
     
    Als er am Morgen nach dem Treffen ausgenüchtert war, begann er die Nachforschungen nach dem Alten. Es war ganz einfach, seines Vaters Namen und Anschrift standen im Telefonbuch. In der Zeile der Anschrift fand sich eine zweite, die Adresse und Telefonnummer eines Modeg e schäfts. Das war eine heiße Spur. Dort fuhr er hin. Durch die Schaufen s terscheibe sah er eine Frau seines Alters, hinter ihr sein Vater. Der hatte beide Arme um sie gelegt. Es sah beschützend aus. Mutter hatte er nie beschützt, die hatte er bestohlen, um mit seiner damaligen Geliebten ein Modegeschäft zu eröffnen.
    Mutter hatte den Mann ab diesem elementaren Vertrauensbruch vera b scheut. Ob wegen der Geliebten oder weil sie bestohlen worden war, das blieb Pierre unklar. Jedenfalls übertrug sie ihren Widerwillen auf ihn. Und diese Bürde wurde mit der Zeit schwerer und schwerer. Er glaubte daran , zu ersticken. Mit seiner Mutter hatte er die ersten zehn Jahre seines L e bens verbracht. Später war das Internat auf der Insel Scharfenberg, das mitten im Tegeler See lag, sein Zuhause.
     
    Seine Mutter verströmte den Duft damaliger Zeit – den chicker Frauen. Das war ein Geruch nach zuckersüßem Honig, Kräutercreme, Kernseife und Parfum aus einem Flakon. Nach Haut, großen Brüsten, festen Sche n keln, runden Hintern; den nach der Weichheit der Hüften, des Mundes. Alldem zusammen, wurde von seinem Vater, ihrem Mann, wohl wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht, und sie erfuhr deshalb vermutlich kaum Zuwendungen zärtlicher Art. Auch deshalb machte sie oftmals ein mürrisches Gesicht. Ein Gesicht, wie sie es später eigentlich nie mehr gemacht hatte. Doch wann war später? Früher waren Familiensonntage bei Opa und Oma mütterlicherseits. Waren Weihnachten, Silvester, Ostern und Geburtstage. Später war, als der Vater weg war und ein Onkel sich eingenistet hatte, der Mutter tagsüber zum Lachen, nachts zum Stöhnen und Weinen brachte.
    Einmal, bei solchem Weinen und Stöhnen, stieg „klein Alfred“ (Pierre) aus dem Bett, um sie zu trösten, um zu sehen, was der Ursprung davon war. Ob es Angst, innere Not, oder äußerer Zufall war. Oder alles zusa m men.
    Als er wusste, was geschehen war und geschah, onanierte er regelmäßig zur Melodie Wissens im Takt. Das gab Trost im Verlust und stärkte ihn in der Begreiflichkeit des Unbegreiflichen.
    Ja, die Mutter hatte sich neu verliebt. Liebte neben ihm, dem Sohn, den Mann namens Erich, einen Kriegskameraden des Vaters. Doch auch Erich konnte ihr nicht das wahre Leben ersetzen, so wie sie es sich vorstellte, was wiederum keiner verstand. Denn nichts hatte geklappt, von dem, was sie
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