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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen
Autoren: Michael Koehn
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jaulte dazu der Radarwarner: Alarm, Alarm, Alarm ...
    Dieses ständige Heulen ging ihm auf den immer noch schmerzenden Sack. Das Rattern der Wodkaflasche am Messinghalter nervte und dass er da nicht rankam. Die Katze, die bisher ängstlich in der Ecke gehockt hatte, sprang plötzlich mit allen Vieren gleichzeitig vom Boden hoch, direkt auf seine Schulter, verbiss sich in seinem Hals. Kratzte mit scharfen Klauen über sein Gesicht.
    “Verdammt, du Mistvieh!“, war das erste, was er seit langer Zeit sagte: Verdammt ...! Und mit einer heftigen Seitwärtsbewegung der rechten Hand fegte er das Tier von sich. Doch Katzen konnten alles, auch die hier.
    Diese, ein Geschenk von irgendwem an den Steuermann, flog drei, vier Meter, krachte gegen einen Schrank, rutschte ab und blieb neben ihrem Korb liegen. Pierre sah zu ihr, schuldbewusst; doch es fehlte ihr nichts. Nur Angst hatte sie, das sah er. Mehr Angst hatte nur er, das war sicher. Heftige Stöße erschütterten das Schiff. Die Höllenfahrt war lange nicht zu Ende. Pierre versuchte trotz diesem Gerüttel und Gebocke an die Schnap s flasche zu gelangen und musste bei diesem erbärmlichen Versuch, den Griff an der Messingstange lockern. Seine Rechte schließlich, die löste er, mit der versuchte er zu greifen, griff, ja, Zentimeter nur noch und er hätte den Schnaps in der Gurgel. Doch nichts. Denn genau in der Zehntelseku n de des Loslassens verkeilte sich der Havarist an einem Baumstumpf, bäumte sich wie harpuniert hoch auf und fiel zu Tode entkräftet zurück in die schäumende nachfolgende Flutwelle. Doch das hatte wenig mit Pierre zu tun, dem erging es schlimmer als Wasser und Schaum; dessen unges i cherter Körper wurde mit zentnerschwerer Heftigkeit nach vorne gerissen. Dabei knickte sein Kopf über den Halswirbeln weg, prallte, haltlos g e worden, gegen die Glasscheibe in Front. Ein Genickschlag, wie man waidmännischer keinen Hasen töten könnte. Aber er lebte noch, nur dieser frische rote Saft, der ihm stetig über das rechte Auge floss, als er so da lag. Dann verkrustete das Rot, wurde braunrostig, schwarz dann und war eben noch zu erkennen, wenn er hätte sehen können.
     
    Draußen, sichtbar auf Wellenkämmen, der Lebenssaft der Maschine – Ölblau. Das wusste Pierre nicht , und es wäre ihm egal gewesen, denn in seinem Schädel dröhnten dumpfe Schläge der Freiheitsglocke in Berlin. Ja, er konnte Teile des Textes dazu aufsagen, wie gelernt: „Ich glaube an die Unantastbarkeit eines jeden einzelnen Menschen; ich glaube, dass jeder Mensch das gleiche Recht auf Freiheit hat ...“
    Doch was er glaubte, blieb letztlich uninteressant, denn die verbliebenen Sinne flogen ihm davon. Er war erledigt. Scheiße fertig. Kaputt. Aber das war immer noch nicht alles, denn am Rande der Bewusstlosigkeit schw e bend, drehte sich sein Körper und er fiel seitwärts schräg nach hinten in den Tod. Oder halb. Mann o Mann, Pierre! Denn diese Spielfigur, die er war, wurde hin und her gerissen, weiter und weiter und weiter. Er hatte ausgedient. Und konnte nichts dagegen tun.
    Dann lag er da, ohne Sinn und Zweck, eine zerbrochene Schaufenste r puppe. Die Glieder grotesk demontiert, um sie Platz sparend einlagern zu können. Doch wo und warum? Was weiter passierte, in seinem Kopf, musste die abenteuerliche Reise eines bewusstlosen Menschen durch Raum und Zeit gewesen sein. War Leben und Tod in der Kapitänskabine des Kahns und niemand konnte helfen. Lediglich die Katze war Zeuge. Die aber blieb unergründlich und schweigend, bis alles vorüber war .
    Dann, nach endlosen Minuten, in denen Pierre still lag, sich nichts an ihm rührte, reckte sie sich, buckelte, streckte den Körper über die Vorde r pfoten, lief zu ihm und schleckte das Blut von seiner Stirnwunde, den salzigen Schweiß, kuschelte sich schließlich an seinen Leib.
    Die Katze hieß übrigens Minka und anscheinend hatte sie Hunger oder erwartete, dass er hochkäme, irgendetwas täte, wenigstens das. Ja, ja, ja – hilfreich und gut, so ein Tier, das weiß doch jeder. Später, irgendwann, kam sein Geist für einen Moment in die Realität zurück und er fand sich in den Trümmer n seiner Existenz wieder . Und ohne wirklich zu wollen, dachte er an gestern. Er hasste Tage wie jenen; dem Kalender nach hatte er Geburtstag. Doch ein solches Fest feierte er nicht. Zu keiner Zeit. B e trunken hatte er sich wegen etwas anderem. Heftig besoffen, um ehrlich zu sein. Wie immer – in den letzten Monaten. Der Totalschaden an
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