Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
von seiner militärischen Dienstzeit her kannte.
    Als er näher mit ihnen bekannt wurde, kam Nechludoff zu der Erkenntnis, es wären genau solche Menschen wie alle andern, nur einzig und allein mit dem Unterschiede, daß die von ihnen, die den Durchschnitt überragten, bedeutend höher, die unter ihm standen, bedeutend niedriger zu werten waren, als die andern. Auch viele liederliche, prahlsüchtige, egoistische und hochmütige Menschen waren dabei, und so kam es, daß Nechludoff einzelne seiner neuen Bekannten sehr gleichgültig behandelte, während er andern wieder mit aufrichtiger Hochachtung entgegenkam.
    In der Sektion, der man Katuscha zugewiesen hatte, wanderte auch ein an der Schwindsucht leidender Jüngling Namens Krülzoff, den man zur Zwangsarbeit verurteilt und den Nechludoff ganz besonders lieb gewonnen hatte. Er hatte ihn bereits in Jekaterinenburg kennen gelernt, war später auf dem weiten Marsche noch mehrmals mit ihm zusammengetroffen und hatte sich mit ihm in ein Gespräch eingelassen.
    Eines Tages, im Sommer, als die Sektion gerade Rast hielt, hatte sich Nechludoff mehrere Stunden bei ihm aufgehalten, und bei dieser Gelegenheit hatte ihm Krülzoff seine ganze Geschichte erzählt, die bis zu seiner Einkerkerung sehr kurz war und folgendermaßen lautete:
    Als er noch im zartesten Knabenalter stand, war sein Vater, ein Gutsbesitzer im südlichen Rußland, gestorben. Er war das einzige Kind seiner Eltern, und die Mutter übernahm die Erziehung. Sowohl auf dem Gymnasium wie auch auf der Universität lernte er sehr leicht und absolvierte seine Studien mit dem Zeugnis eines ersten Kandidaten der mathematischen Fakultät. Man machte ihm nun das Anerbieten, bei der Universität zu verbleiben und zu diesem Zwecke seine Studien noch weiter im Auslande fortzusetzen. Er schwankte und zögerte, denn er hatte sich in ein Mädchen verliebt, das er zu heiraten gedachte und mit dem er sich auf dem Lande niederlassen wollte. Er hatte allerlei im Sinne, konnte es aber nicht über sich gewinnen, sich zu irgend etwas zu entschließen. Gerade um diesen Zeitpunkt ersuchten ihn seine Studiengefährten um Geld für das »allgemeine Wohl«. Er wußte wohl, was unter dem »allgemeinen Wohl« zu verstehen war, hatte aber zu jener Zeit nicht das geringste Interesse dafür, und nur aus Rücksicht auf seine Freunde, aus Gründen der Eigenliebe, um nicht den Glauben in ihnen zu erwecken, er fürchte sich , steuerte er das Geld bei. Die Empfänger des Geldes wurden bald darauf verhaftet, man fand bei ihnen ein Schreiben, aus dem hervorging, daß Krülzoff das Geld gespendet hatte. So wurde auch dieser verhaftet und ins Gefängnis geworfen.
    Er erzählte Nechludoff das alles, während er auf seinem hohen Lager, eine Decke auf den Knieen, dasaß und mit dem starren Blicke seiner großen schwarzen Augen gerade vor sich hin ins Leere starrte.
    »In dem Gefängnis,« sagte er, »in das man mich geworfen hatte, war die Behandlung verhältnismäßig milde. Wir konnten uns nicht allein miteinander verständigen, sondern uns auch in den Korridoren treffen, uns unterhalten, unsere Eßwaren und unseren Tabak miteinander teilen und abends im Chore singen. Diese abendlichen Gesänge machten mir viel Vergnügen, denn ich hatte eine schöne Stimme. Hätte ich nicht an den Kummer meiner Mutter denken müssen, die meine Verhaftung in Verzweiflung versetzt hatte, so wäre ich vollkommen glücklich gewesen. Ich hatte die Bekanntschaft mehrerer sehr interessanter Personen gemacht, ganz besonders die des berühmten Petroff, der sich später mit einem Glasscherben die Kehle durchschnitt. Doch ich war nicht immer Revolutionär und fühlte auch nicht die geringste Anlage, es zu werden.
    Eines Tages brachte man zwei junge Leute in das Gefängnis, die man nach Sibirien geschickt, weil sie polnische Proklamationen verteilt und während der Reise einen Fluchtversuch unternommen hatten. Der eine von ihnen war ein Pole, Lozinski, der andere hieß Rosenberg und war jüdischen Ursprungs. Dieser Rosenberg war noch ein Kind. Er behauptete, er wäre siebzehn Jahre, doch man sah, daß er kaum fünfzehn zählte. Klein, mager, mit feurigen, schwarzen Augen, war er beweglich, geschwätzig und wie alle Juden ein sehr guter Musiker. Seine Stimme hatte noch nicht mutiert, und es war ein Vergnügen, ihn singen zu hören.
    Einige Tage nach ihrer Ankunft im Gefängnis wurde gegen sie verhandelt. Man holte sie morgens ab, und als sie abends zurückkehrten, teilten sie uns mit,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher