Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
man hätte sie zum Tode verurteilt. Das hatte niemand erwartet. Sie hatten wohl Widerstand zu leisten versucht, als man sie wiedergefangen hatte, doch niemanden verwundet, Uns wäre auch nie der Gedanke in den Kopf gekommen, man könne ein Kind, wie diesen Rosenberg, zum Tode verurteilen. Daher waren wir auch alle in dem Gefängnis der Meinung, diese Verurteilung sollte sie nur erschrecken, würde aber nie zur Ausführung gelangen. Die Aufregung, in die uns dieses Ereignis versetzt, beruhigte sich schließlich, und wir setzten unser Leben wie früher fort.
    Eines Tages aber nähert sich mir der Aufseher und teilt mir ganz geheimnisvoll mit, die Arbeiter wären gekommen, um den Galgen aufzurichten. Zuerst verstand ich gar nicht. Den Galgen? Was für einen Galgen? Selbst der alte Aufseher schien so aufgeregt, daß ich, als er mich ansah, alles begriff. Ich wollte Zeichen geben, meine Kameraden benachrichtigen, doch ich fürchtete, meine beiden Nachbarn könnten mich hören. Uebrigens mußten meine Kameraden wohl auch schon unterrichtet sein, denn in den Gängen und Zellen war plötzlich eine Totenstille eingetreten. Niemand war an diesem Abend zum Singen, ja nicht einmal zum Sprechen aufgelegt. Gegen zehn Uhr trat der alte Wärter wieder auf mich zu und teilte mir mit, der Henker wäre eben von Moskau angekommen. Er teilte mir das mit und entfernte sich. Ich rief ihn zurück, um noch weitere Erkundigungen einzuziehen, als ich hörte, wie Rosenberg mir aus seiner Zelle zurief:
    »Was giebt's denn, warum rufen Sie ihn denn?« Ich erwiderte ihm, ich wolle nur Tabak haben; doch Rosenberg mußte offenbar etwas ahnen, denn er fragte mich dann in aufgeregtem Tone, warum nicht gesungen würde und warum niemand spräche. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich ihm erwiderte, und weiß nur, daß ich mich schlafend stellte, um dieser Unterhaltung ein Ende zu machen.
    Ich schlief aber die ganze Nacht nicht. Eine entsetzliche Nacht! Nie werde ich diese furchtbaren Stunden vergessen können. Ich blieb unbeweglich auf meinem Bette liegen, lauschte auf das geringste Geräusch und zitterte, als sollte ich selbst gehängt werden. Bei Tagesanbruch hörte ich, wie die Thür des Korridors sich öffnete, und zahlreiche Schritte sich näherten. Ich stand auf und lief an das Guckfenster meiner Zelle. Zuerst sah ich den Gefängnisdirektor vorüberkommen. Er war ein großer, dicker, mit sich selbst sehr zufriedener Herr, der sonst den Kopf sehr hoch trug; doch an diesem Tage war er blaß, düster und ging mit gesenkten Augen. Hinter ihm kam ein Polizeileutnant, dem zwei Gendarmen folgten. Diese vier Personen schritten an meiner Zelle vorüber, um einige Schritte weiter stehen zu bleiben. Dann hörte ich den Offizier mit eigentümlicher Stimme rufen: »Lozinski, stehen Sie auf und ziehen Sie ein weißes Hemd an!« Dann lange Pause, dann höre ich die Schritte Lozinskis, wie er die Zelle verläßt. Durch mein Guckfenster konnte ich nur noch den Direktor sehen. Er stand bleich und entstellt da und drehte an seinem Schnurrbart, ohne den Kopf zu erheben. Plötzlich sehe ich aber, wie er ganz entsetzt zurückweicht. Lozinski ging nämlich an ihm vorüber, um sich der Thür meiner Zelle zu nähern. Ein schöner junger Mann, dieser Lozinski! Sie wissen doch, jener reizende polnische Typus: breite, gerade Stirn, feine blonde Härchen und große blaue Augen, wahre Kinderaugen. Ein junger Mensch voll Gesundheit und Leben, eine wahre menschliche Blüte! Er war an meinem Guckfenster stehen geblieben, so daß ich sein Gesicht vollständig sehen konnte. Dieses Gesicht war schrecklich anzusehen, dieses gleichzeitig düstere und lächelnde Gesicht. »Krülzoff, haben Sie eine Cigarette?« Ich wollte ihm eine geben, als der Direktor mit fieberhafter Eile sein Etui hervorholte und es ihm reichte.
    Lozinski nahm eine Cigarette, der Offizier gab ihm Feuer, und er fing an, mit nachdenklicher Miene zu rauchen. Plötzlich aber erhob er den Kopf, als wenn er sich an etwas erinnerte und murmelte: »Das ist ungerecht, ich habe nichts Böses gethan, ich ...« Ein Zittern erschütterte seinen jungen weißen Hals, und er schwieg.
    In demselben Augenblick hörte ich, wie Rosenberg in seiner Zelle mit seiner scharfen jüdischen Stimme zu schreien anfing. Lozinski warf seine Cigarette fort und trat von meiner Thür weg. Jetzt stellte sich Rosenberg davor. Sein Kindergesicht mit seinen, kleinen schwarzen Augen war rot und mit Schweiß bedeckt. Auch er trug ein reines Hemd, seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher