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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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schließlich noch gedankt.
    Da er die Luft im Zimmer erstickend fand, so ging er, in der Absicht, sich in den Garten zu begeben, nach dem Hofe; doch er erinnerte sich der schrecklichen Nacht, des beleuchteten Küchenfensters, des Hinterbalkons im Hause, und fühlte nicht den Mut, die Orte wiederzusehen, die zu viel solcher Erinnerungen für ihn aufwiesen. Er setzte sich auf den Vorderbalkon, betrachtete längere Zeit die dunkeln Flecke der Bäume und lauschte auf das Klappern der Mühle und den Gesang eines Vogels, der ganz in der Nähe in einem Busche pfiff.
    Ein Sprichwort sagt, daß die Hähne in fröhlichen Nächten frühzeitig krähen, und diese Nacht war für Nechludoff thatsächlich fröhlich; oder vielmehr sie war mehr als fröhlich, sie war voller Glück und Entzücken. Seine Phantasie ließ die einst in diesem wunderbaren Sommer empfundenen Gefühle wieder aufleben, den er jung und unschuldig an demselben Orte verlebt, und er fühlte sich wieder so werden, wie er früher gewesen war. Er fühlte sich wieder so werden, wie er in dem ganzen glücklichen und schönen Teile seines Lebens gewesen war, als er zu 14 Jahren Gott bat, er möge ihm die Wahrheit enthüllen oder wenn er auf dem Schoße seiner Mutter weinte und ihr zuschwor, er wolle immer gut sein und ihr nie wehe thun. Er fühlte sich wieder so werden, wie er es gewesen war, als er mit seinem Freunde Nikolaus Irteneff beschlossen hatte, sich stets auf dem Wege des Guten gegenseitig Beistand zu leisten und ihr ganzes Leben dem Glück der Menschen zu weihen.
    Er erinnerte sich dann, wie ihn in Kuzminskoja eine Versuchung angewandelt hatte, und er sich fast nach seinem Haus, seinen Wäldern, seinem Pachthof und seinen Aeckern zurückgesehnt hatte. Er fragte sich, ob er sich im tiefsten Herzen immer noch danach sehnte. Er sehnte sich jetzt nicht nur nicht mehr danach, sondern begriff auch nicht, wie er dazu hatte imstande sein können. Dann sah er das wieder vor sich, was er im Dorfe gesehen, als er zur Matrena kam. Er sah die junge Mutter, der man den Mann ins Gefängnis geworfen, weil er in seinem Walde einen Baum gefällt; er sah die gräßliche Matrena wieder, die ihm sogar gesagt hatte, es wäre die Pflicht der jungen Mädchen ihrer Klasse, ihrer Herrschaft zu Diensten zu sein. Er erinnerte sich, was ihm die Alte über die Art gesagt, wie die Kinder ins Asyl gebracht würden, und wieder erschien das kränkliche Kind vor seinen Augen. Und von diesem Kinde wandten sich seine Gedanken wieder dem Gefängnis, den rasierten Köpfen, den stinkenden Korridoren und den Zellen zu, und er verglich mit all diesem Elend den blöden Luxus seines eigenen Lebens. Nechludoff erinnerte sich, wie er in Kuzminskoja angefangen, über sich und sein Leben nachzudenken, wie er daran gedacht hatte, was er thun würde und was er anfangen sollte. Er hatte sich Fragen vorgelegt, die er nicht lösen konnte, so viel Gründe waren für und wider vorhanden, so verwickelt und schwierig erschien ihm das Leben. Von neuem legte er sich dieselben Fragen vor, und wunderte sich, daß er sie so einfach fand. Sie waren jetzt einfach für ihn, weil er nicht mehr dachte, was ihm passieren würde, und nur noch daran dachte, was er thun müßte. Und merkwürdigerweise, – so viel Mühe es ihm gemacht hatte, zu bestimmen, was er für sich selbst thun müßte, so klar sah er, was er für die andern thun mußte. Er sah klar, er mußte den Bauern seine Aecker geben, weil die Bauern sie brauchten, und er selbst kein Recht hatte, sie zu besitzen. Er sah klar, daß er Katuscha nicht verlassen durfte, sondern ihr im Gegenteil behilflich sein mußte, auf den Absichten zu verharren, die er beim letzten Male an ihr entdeckt; denn er hatte eine Schuld gegen sie begangen, die er wieder gut machen mußte. Was aus alledem entstehen würde, das wußte er nicht; doch er wußte, daß er die absolute Pflicht hatte, so zu handeln, und diese innige Ueberzeugung erfüllte ihn mit hoher Freude.
    Fröhlichen Herzens kehrte er ins Haus zurück und dachte. »Ja, ja! so ist es! der Nutzen meines Lebens, die tiefe Bedeutung dieses Lebens, das höhere Ziel, zu dem wir auf dieser Welt sind, begreife ich nicht und kann es nicht begreifen. Warum haben meine Tanten gelebt? Warum ist Nikolaus Irteneff tot, und warum bin ich am Leben? Warum bin ich Katuscha begegnet? Warum bin ich so lange blind und toll gewesen? Was alles weiß ich nicht; das Werk des Herrn zu begreifen, steht nicht in meiner Macht. Doch seinen Willen zu
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