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Auferstehung 2. Band (German Edition)

Auferstehung 2. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 2. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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betrachten das als natürlich und notwendig; in unsern Universitäten, unsern Verwaltungen, unsern Zeitungen streiten wir über die Ursachen des Bauernelends und die verschiedenen Mittel zur Abhilfe, lassen aber die einzige Ursache dieses Elends bestehen, ohne sie auch nur zu erwähnen, und berauben die Bauern weiter der Erde, deren sie doch so sehr bedürfen.«
    Was alles war Nechludoff jetzt so klar, daß er sich immer mehr wunderte, es so lange Zeit nicht begriffen zu haben. Er erkannte mit vollkommener Klarheit, daß das einzige Mittel gegen das Elend der Bauern darin bestand, ihnen die Erde wiederzugeben, damit sie sich davon ernähren konnten. Er begriff, daß besonders die Kinder starben, weil es ihnen an Milch fehlte, und zwar fehlte es ihnen an Milch, weil ihre Eltern keine Wiesen hatten, auf denen sie ihre Kühe konnten weiden lassen.
    Und Nechludoff faßte sogleich den Entschluß, den Bauern seine Aecker zu verpachten, aber derart, daß der von ihnen zu zahlende Pachtzins nicht ihm, sondern ihnen zu gute kommen sollte, damit sie ihre Steuern bezahlen und auch andere allgemein nützliche Ausgaben bestreiten konnten.
    Als er in die Wohnung des Inspektors zurückkehrte, teilte ihm dieser mit ganz besonders freundlichem Lächeln mit, das Essen wäre bereit; er fügte hinzu, er fürchte nur, es wäre ein bißchen angebrannt, trotz aller Mühe, die sich seine Frau mit Hilfe eines jungen Mädchens, das ihr die Wirtschaft befolgte, mit der Zubereitung gegeben.
    Nach dem Essen nötigte Nechludoff den Inspektor, sich an den Tisch zu setzen. Er empfand das Bedürfnis, zu sprechen, und jemandem, gleichviel wem, die großen Gedanken mitzuteilen, die sein Herz bewegten. Er setzte dem Inspektor seinen Plan auseinander, seine Güter den Bauern abzutreten, und fragte ihn dann, was er davon denke. Der Inspektor lächelte, als wenn er das alles schon lange dächte, und sich freue, daß man diesen Gedanken aussprach; dabei hatte er aber eigentlich gar nicht verstanden; trotzdem antwortete er:
    »Das ist ausgezeichnet! – Sie wollen also Ihre Aecker verpachten und die Rente erheben?«
    »Aber nein! Verstehen Sie doch recht! Ich will ihnen meine Aecker vollständig schenken!«
    »Dann« – rief der Inspektor und hörte zu lachen auf; »dann erheben Sie also keine Rente?«
    »Nein, ich verzichte darauf!«
    Der Inspektor stieß einen leisen Seufzer aus, fing aber gleich darauf wieder zu lächeln an. Jetzt hatte er verstanden. Er hatte erkannt, daß Nechludoff ein bißchen verrückt war; sein Projekt war in seinen Augen eine Excentricität, über die er sich nicht einmal mehr wunderte; er dachte nur darüber nach, welchen Nutzen er selbst daraus ziehen könnte. Doch als er kurz darauf merkte, Nechludoffs Absicht könne ihm persönlich nichts nützen, fühlte er sich wieder unangenehm berührt, fuhr aber, um Nechludoff, der sein Herr war, gefällig zu sein, zu lächeln fort.
    Als Nechludoff sah, daß der Inspektor ihn doch nicht verstand, ging er in das Bureau und schrieb auf einem alten Tisch den Entwurf seines Projektes nieder.
    Inzwischen war die Sonne untergegangen, während der Mond aufging. Schnell schrieb er seinen Plan zu Ende, rief den Inspektor und erklärte ihm, er wünsche nicht, daß die Bauern ins Bureau kämen; er wolle lieber im Dorfe an dem und dem Orte, den sie bestimmen sollten, mit ihnen sprechen; darauf goß er schnell das Glas Thee hinunter, das der Inspektor ihm auftrug, und schlug wieder den Weg nach dem Dorfe ein.
     
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    Die Bauern, die sich ziemlich zahlreich im Hofe des Starosten versammelt hatten, unterhielten sich geräuschvoll; doch als sie Nechludoff bemerkten, schwiegen sie und nahmen wie die in Kuzminskoja ihre Mützen ab.
    Nechludoff teilte ihnen gleich zu Beginn seiner Rede mit, er hätte den Entschluß gefaßt, ihnen seine Aecker abzutreten. Die Bauern hörten stillschweigend zu, ohne daß ihr Gesicht irgend welche Aufregung verriet.
    »Ich bin der Ansicht,« fuhr Nechludoff errötend fort, »daß jedermann das Recht hat, aus der Erde Nutzen zu ziehen.«
    »Das ist wahr! Das ist vollständig richtig!« riefen mehrere Stimmen.
    Nechludoff setzte seine Rede fort, sagte ihnen, der Ertrag der Erde müsse unter alle geteilt werden und schlug ihnen infolgedessen vor, ihnen gegen eine Rente, die sie selbst bestimmen sollten, und die ein zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmtes Gesellschaftskapital bilden sollte, seine Aecker abzutreten.
    Von neuem ließen sich einige zustimmende Rufe
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