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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Autoren: Donna Leon
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die Idee gekommen, seinen eigenen Betrieb aufzumachen. Mal davon abgesehen, dass er gar nicht die Fähigkeiten dazu besaß. Das ging alles von ihr aus; sie hat ihm auch die Bücher geführt, bis er in den Ruhestand ging und sie wieder hierhergezogen sind.«
    »Hört sich nicht nach einer Frau an, die morgens als Erstes nachschaut, was es im Haus des Wassermanns Neues gibt«, bemerkte Brunetti.
    »Genau das begreife ich nicht«, sagte Vianello und hob ratlos die Hände. »Manche Leute haben ihre Rituale. Was weiß ich, zum Beispiel, dass sie erst das Haus verlassen, wenn sie wissen, wie viel Grad es draußen sind oder welche berühmten Leute an diesem Tag Geburtstag haben. Manche von ihnen hielt man immer für völlig normal, und eines Tages erfährt man, dass sie nur in Urlaub fahren, wenn ihr Horoskop ihnen sagt, es spreche nichts dagegen, eine Reise zu machen.« Vianello zuckte die Schultern. »Kann mir keinen Reim darauf machen.«
    »Ich weiß immer noch nicht, was du von mir wissen möchtest, Lorenzo«, sagte Brunetti.
    »Das weiß ich auch nicht«, gab Vianello grinsend zu. »Die letzten Male, als ich sie besucht habe – ich bemühe mich, mindestens einmal die Woche bei ihr reinzuschauen –, lagen da überall diese verrückten Zeitschriften herum: Dein Horoskop . Die Weisheit der Alten. Solche Sachen.«
    »Hast du sie darauf angesprochen?«
    Vianello winkte ab. »Ich wusste nicht, wie.« Er sah Brunetti an und fuhr fort: »Außerdem wäre es ihr wohl nicht recht gewesen.«
    »Wieso glaubst du das?«
    Vianello zog ein Taschentuch heraus und fuhr sich über die Stirn: »Sie hat mitbekommen, dass ich mir die Zeitschriften angesehen habe – dass sie mir aufgefallen waren. Aber sie hat nichts gesagt. Keine scherzhafte Bemerkung, keine Ausrede, wie die, dass eins ihrer Kinder sie dort liegen gelassen habe oder dass eine ihrer Freundinnen sie bei ihr vergessen habe. Das hätte man nachvollziehen können. Wären das Zeitschriften übers Jagen oder Angeln oder über Motorräder gewesen, hätte sich auch jeder gewundert. Aber sie tat – ich weiß auch nicht – geradezu heimlichtuerisch. Das ist ja das Beunruhigende.« Er sah Brunetti fragend an. »Du hättest etwas gesagt, oder?«
    »Du meinst, zu ihr?«
    »Ja. Wenn sie deine Tante wäre.«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Und dein Onkel? Kannst du den nicht fragen?«
    »Möglich wäre es schon, aber Zio Franco ist ein typischer Vertreter seiner Generation: Wenn du etwas ansprechen willst, machen sie bloß Witze, klopfen dir auf den Rücken und bieten dir was zu trinken an. Er ist der beste Mensch der Welt, interessiert sich aber im Grunde für gar nichts.«
    »Auch nicht für sie?«
    Vianello überlegte. »Vermutlich nicht.« Wieder schwieg er. »Jedenfalls nicht so, dass irgendwer es mitbekommen würde. Die Männer seiner Generation haben sich nie für ihre Familien interessiert, finde ich.«
    Brunetti schüttelte den Kopf, was Zustimmung und Bedauern zugleich ausdrücken sollte. Nein, sie interessierten sich wirklich für nichts, weder für ihre Frauen noch für ihre Kinder, höchstens für ihre Freunde und Kollegen. Er hatte über diesen Unterschied schon oft nachgedacht. Hing das mit mangelndem Feingefühl zusammen? Eher war es wohl eine Frage der Erziehung: Auf jeden Fall kannte er viele Männer, die es immer noch für ein Zeichen von Schwäche hielten, an so zarten Dingen wie Gefühlen auch nur das geringste Interesse zu bekunden.
    Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das erste Mal gefragt hatte, ob sein Vater seine Mutter liebe, oder ihn und seinen Bruder. Brunetti hatte das immer angenommen, wie Kinder es eben tun. Aber was hatte es damals doch für seltsame Gefühlsäußerungen gegeben: tagelanges Schweigen; gelegentliche Wutausbrüche; und nur ein paar wenige Augenblicke, in denen der Vater ihnen offen seine Zuneigung bekundete.
    Brunettis Vater war sicher kein Mann gewesen, dem man sich anvertraute. Ein Mann seiner Zeit, ein einfacher Mann ohne viel Kultur. Ob der Schein trog? Er versuchte sich zu erinnern, wie die Väter seiner Freunde sich benommen hatten, aber es fiel ihm nichts ein.
    »Meinst du, wir lieben unsere Kinder mehr?«, fragte er Vianello.
    »Mehr als wer? Und wer ist wir?«, fragte der Inspektor.
    »Männer. Unsere Generation. Mehr, als unsere Väter es getan haben.«
    »Ich weiß nicht. Wirklich.« Vianello drehte sich um, zupfte mehrmals an seinem Hemd und fuhr sich mit dem Taschentuch über den Nacken. »Vielleicht haben wir
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