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Auf Tour mit Bob Marley

Auf Tour mit Bob Marley

Titel: Auf Tour mit Bob Marley
Autoren: Mark Miller
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jeden Tag an einem anderen Ort aufwacht, ist es schwer, die Orientierung zu behalten. Dennis und ich brachten jedenfalls die ganze Ausrüstung zum Flughafen, beaufsichtigten ihre Verladung und flogen dann zusammen mit den anderen nach Texas.
    Wir hatten damals eine Menge gemietetes Equipment zu betreuen. Ein echtes Monster, mit dem wir uns abschleppten, war die Hammond-B3 mit Leslie-Box, die Earl (Wya) Lindo spielte. Wya war meiner Ansicht nach das eigentliche musikalische Genie in der Gruppe – ein absolut sensationeller Keyboarder. Seine Hände sind riesig, und er pflegte die Tasten fast zu schlagen. Außerdem war er ein ausgezeichneter Songschreiber, was die meisten Leute heute nicht wissen. Angeblich hat er »Redemption Song« mitverfasst, was ich mir gut vorstellen kann. Manchmal spielte Wya so schnell, dass seine Hände über den Tasten ganz verschwommen wirkten, so schnell sausten sie hin und her. Eine B3 ist ein wirklich riesiges Instrument; in ihrem Transportbehälter war sie so groß wie ein kleiner Ford. Dennis und ich standen unten am Flugzeug, als die Gepäckarbeiter den Behälter aus dem Gepäckbereich auf einen Lader am Flugzeug rollten. Als der Lader am Flugzeug rangierte, sah ich den Behälter wie in Zeitlupe über den Rand der Ladefläche rollen. Gleich darauf krachte er mitsamt seinem kostbaren Inhalt auf die Rollbahn. Danach sah er aus wie eine Ziehharmonika, und ich bin mir sicher, dass Kenny Berry bei S. I. R. alles andere als erfreut war, als er die Nachricht bekam. Ich hab nie gehört, was weiter geschah, aber American Airlines musste bestimmt eine Menge Geld für das kostbare Instrument berappen. Wir spielten noch in Houston, New York und Atlanta und beendeten die Tournee am 5. August 1978 im Jai Lai Fronton in Miami.
    Die Zeit zwischen dem Ende der Tournee und dem Beginn der Survival Tour Anfang 1979 ist in meiner Erinnerung ein bisschen verschwommen. Wir experimentierten damals alle mit diversen Substanzen, deshalb ist mein Gedächtnis etwas getrübt. Zwischen den Tourneen war ich die meiste Zeit in London oder LA. Kurz vor Beginn der Survival Tour hielt ich mich zum ersten Mal in Jamaika auf, wenn ich mich recht erinnere. Bob hatte mir einen Raum in einem Gästehaus in der Nähe seines Hauses in der Hope Road 56 in Kingston besorgt, und ich ging zu Fuß dorthin, wenn ich ihn besuchte. Unterwegs kamen jedes Mal vier oder fünf Leute auf mich zu und fragten, ob sie vielleicht mein Hemd oder meine Schuhe haben könnten, oder sie sagten: »Schöne Ringe, Mann, warum gibst du sie nicht uns?« Das war echt unangenehm, besonders weil ich so etwas noch nie erlebt hatte. Abends wiederholte sich das Ganze, wenn ich auf dem Rückweg zu meiner Pension war, und am nächsten Morgen gab es wieder Ärger auf dem Weg zum Studio in Bob Marleys Haus.
    Jetzt erzähle ich etwas, das ich noch nie erzählt habe: An meinem ersten Tag in Kingston klopfte es ziemlich spät in der Nacht an meine Tür. Ich erwachte aus meinem komaähnlichen Schlaf und öffnete. Vor mir stand eine jamaikanische Schönheit in einem knappen, hauchdünnen Negligé. Sie schob mich zurück in das Zimmer, und es dauerte nicht lange, bis sie mir die jamaikanische Art, Liebe zu machen, beibrachte. Dann verschwand sie wieder in der Nacht. Einen Augenblick dachte ich, ich hätte den Besuch nur geträumt, und dann dachte ich: »Vielleicht war es ein Begrüßungsgeschenk.«
    Am folgenden Tag sah ich wohl ein bisschen sauer aus, als ich das Tuff Gong Studio betrat, jedenfalls fragte Gilly: »Was ist los, Mann?« Ich erzählte ihm von den ganzen Leuten, die mich auf der Straße anschnorren wollten, aber er lachte nur und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Gilly war ein muskelbepackter Riese, mit solchen Leuten streitet man sich besser nicht, also schickte ich innerlich ein Stoßgebet zum Himmel und ging meiner Wege. Bob hatte offenbar großen Einfluss auf alle Menschen, sogar auf die Leute auf der Straße. Außerdem hatte in jenem Jahr der kometenhafte Aufstieg der Wailers begonnen, und das war kaum einem Jamaikaner entgangen.
    Am nächsten Tag sprach mich kein Mensch mehr an. Bob hatte die Parole ausgegeben, dass man mich in Ruhe lassen solle. Auf der Straße wusste man nun, dass ich für ihn arbeitete, und damit war ich geschützt.

Bob Marley live 1980 im Crystal Palace. Rechts im Hintergrund Mark Miller.
    Mark Miller im Jahr 2010 mit seinen Söhnen Harry und Matthew. © Mark Miller
    Junior Marvin 1979 live auf der Bühne. © Heg
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