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Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verließ Jochen Baumgart die kleine Kajüte.
    Vor dem Eingang zu den Kajüten traf er auf den Ungarn. Er hatte aus seiner Koje auf der ›Fidelitas‹ ein kleines, silbernes Kreuz geholt, wie es viele auf der nackten Brust um den Hals tragen.
    »Ich will es ihm in die Hand geben, Mister«, sagte er leise.
    Jochen schluckte. »Tu das.«
    Mit eisigem Schrecken dachte Jochen nun an Irene. Wer sollte ihr die Nachricht überbringen? Wie sollte man es ihr sagen? Ein neues Leben im Arm, war ihr ein anderes, geliebtes Leben entglitten. Sie würde es nicht verstehen können …
    Ich werde es ihr sagen müssen, überlegte Jochen. Die Last dieser schweren Mission machte ihn unsicher und irgendwie tief im Inneren feige. Ich werde zu ihr gehen müssen und sagen: »Irene –, es hat einmal zwei Brüder gegeben, die sich haßten. Und als sie begannen, sich zu lieben, mußte der eine gehen, um den anderen zu retten! Solange sie sich haßten, war die Erde anscheinend groß genug für beide. Mit der Liebe aber wurde sie plötzlich zu klein …«
    Jochen Baumgart stand am Laufbrett und sah hinüber zu seiner hell erleuchteten ›Fidelitas‹.
    Was würde ihm bleiben, wenn in wenigen Stunden die Polizei das Schiff betrat?
    Ein Haftbefehl – weiter nichts. Vielleicht eine Gerichtsverhandlung, in der ihm weder der Staatsanwalt noch die Richter glaubten und die ihn verurteilten, das Schiff zugunsten des Staates einzogen, so wie man auch Autos an den Grenzen einzieht und versteigert, wenn sie beim Kaffeeschmuggel angetroffen werden. Vielleicht konnte ihn die Aussage Bettys etwas entlasten … Betty! Baumgart preßte die Lippen aufeinander. Was wußte Betty von dem allem? Wenn sie geschwiegen hatte, war sie mitschuldig am Tode des Bruders.
    Mit großen, weitausgreifenden Schritten rannte Jochen auf sein Schiff.
    In der Salonkabine traf er Betty an, wie sie wieder die Koffer packte. Diesesmal fragte er nicht, was sie da tue – er schloß hinter sich die Tür ab und setzte sich in einen der zierlichen Sessel.
    »Du hast gewußt, daß Rauschgift an Bord war?«
    »Ja.«
    Dieses klare Ja warf Jochen in einen Abgrund. Er verkrampfte die Finger um die Sessellehnen.
    »Das kann nicht wahr sein, Betty.«
    »Es ist wahr. Ich wußte es schon, als wir von Hamburg abfuhren. Ich wußte alles! Daß Domaine und Willke dich in Köln erwarten wollten, daß ich ihr Lockvogel sein sollte, daß sie sich hinter Bunzel steckten, aber dort nicht ankamen, daß für eine Million ›Schnee und Koks‹ an Bord kommen sollte – alles, alles wußte ich! Und ich schwieg!« – »Warum?«
    »Weißt du, was Angst ist?«
    Über Baumgarts Gesicht glitt etwas wie Ekel. »Das ist eine billige Ausrede …«
    »Seit drei Jahren arbeite ich mit Domaine und Willke zusammen. Sie lieferten die Mittel, ich war der Schlepper, der ihnen die Kundschaft zutrieb. In unserer Bar in St. Pauli und in einer Bar auf der Reeperbahn war der Umschlagplatz. Wir hatten ein Kennwort. ›Großmutter‹ hieß es. Wenn einer an meine Theke kam und sagte: ›Ich soll Sie von Großmütterchen grüßen‹, dann bekam er seine Ampullen oder sein Pulver. Glaubst du, ich hätte eine Möglichkeit gehabt, dich zu warnen? Bei dem geringsten Zweifel, der in dir aufgetaucht wäre, hätten sie mich umgebracht.«
    »Du willst das Schiff verlassen?«
    »In Mainz. Ja.«
    »Es wird nicht gehen. Die Polizei wird an Bord kommen.«
    »Ich weiß.«
    »Du bist der einzige Zeuge, der aussagen kann, daß ich nichts von dem abscheulichen Spiel, das man mit mir trieb, wußte.« Seine Stimme wurde hart, befehlend. »Du bleibst an Bord, bis das alles geklärt ist und deine Aussagen zu Protokoll genommen worden sind.«
    »Ich habe alles aufgeschrieben.« Sie zeigte auf ein längliches Kuvert, das auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa lag. Baumgart sah es erst jetzt. »Ich habe nichts vergessen.«
    »Es wird besser sein, wenn du dich persönlich zur Verfügung stellst.«
    »Man wird mich verhaften!«
    »Das nehme ich an.«
    »Auf Mithilfe am Rauschgiftschmuggel steht Zuchthaus.«
    Baumgart schwieg. Er starrte auf den teppichbelegten Kajütenboden. Sein Gesicht war fahl und alt geworden.
    »Ihr habt einen Menschen auf dem Gewissen«, sagte er langsam.
    In Bettys Augen trat der Ausdruck maßlosen Entsetzens.
    »Das ist nicht wahr!« stammelte sie.
    »Hannes –«, Jochen wandte sich ab.
    »Was ist mit Hannes!« fragte Betty leise.
    »Er ist tot.«
    »Nein!«
    »Er liegt drüben auf seinem Bett. Er ist gestorben, weil er mich warnen
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