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Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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leicht zugespitzt feilen lassen.
    Hannes, der jüngere Bruder, schob seine Tasse etwas nach hinten. »Er ist ein gelehrter Mann geworden, unser Jochen. Diplom-Volkswirt – das klingt so wohlhabend!« Er lachte, aber etwas wie stiller Neid schwang in der Stimme. »Vielleicht heißt es einmal: Dr. Baumgart …«
    »Ich habe tatsächlich vor, zu promovieren.«
    Der Alte sah auf seine Pfeife. »Es kostet Geld, Jochen.«
    »Und jetzt reicht es nicht mehr für die Promotion?«
    »Ja.«
    Jochen erhob sich. Er stieß mit dem Kopf fast an die Bretterdecke, die jedes Jahr mit billiger weißer Ölfarbe gestrichen wurde. Er war groß, schlank, elegant in seinem Maßanzug und beherrscht in seinen Bewegungen. Der alte Baumgart sah zu ihm hinauf.
    »Es ist wenig zu fahren, Jochen. Die großen Konzerne würgen uns ab. Sie unterbieten die Preise, sie haben schnellere Schiffe. Ihr Laderaum ist ausgenutzter. Sie geben Rabatte.«
    »Wenn du das alles weißt, warum unternimmst du nichts?«
    Der alte Baumgart sah seinen Sohn kopfschüttelnd an. »Womit?«
    »Womit! Womit!« Jochen überblickte den Tisch. Die Augen der Mutter sahen zu ihm auf. Trübe, alte Augen, die glanzlos geworden waren vor Arbeit und Gram. Ein Würgen stieg in ihm hoch. »Da sitzen zwei Männer und legen die Hände in den Schoß! Warum greift ihr nicht ein in diesen Kampf? Warum laßt ihr euch abwürgen? Modernisiert den Kahn, nehmt Kredite auf für einen Umbau, fahrt dreimal für den halben Preis und versichert die Ware hoch. Und dann laßt den Kahn brennen! Löscht ihn, wenn er fahrunfähig ist! Und mit dem neuen Kahn, den die Versicherung bezahlt, werft ihr euch wieder in den Kampf.«
    »Das ist Lumperei«, sagte der alte Baumgart laut.
    »Nicht die Methode ist maßgebend, sondern der Erfolg!«
    »Bekommt man diese Weisheiten auf den Universitäten beigebracht?«
    »Es sind die Praktiken der Erfolgreichen.«
    »Wir sind ehrbare Schiffer.« Der alte Baumgart klopfte seine Pfeife aus. »Die Ehrlichkeit im Geschäft ist unser Grundprinzip.«
    »Mit dem ihr zugrunde geht!«
    Jochen wandte sich ab und ging in dem kleinen Raum hin und her.
    »Was soll ich mit diesem Erbe tun?« fragte Jochen rauh.
    Der alte Baumgart zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
    »Das fragst du?«
    »Ich habe keinen Gärtner kennengelernt, der sich über einen morschen Baum freut.«
    »Jochen!« Hannes stand vor dem Bruder. Er war kleiner als Jochen, aber kräftiger, gedrungener, bulliger. Ein Mann mit eisernen Muskeln, die Anker hievten und Taue zogen und Zentnerlasten schleppten.
    »Es ist morsch!« schrie Jochen. Er sah nicht mehr die Mutter an. Er blickte zur Seite, wo der alte Baumgart stand und an seiner ausgebrannten Pfeife sog. »Ihr seid stehengeblieben! Ihr habt die Zeit an euch vorbeilaufen lassen wie das Wasser, auf dem ihr fahrt und von dem ihr nie heruntergekommen seid. Ihr lebt im Gestern, und draußen, vor euren nicht sehenden Augen, überrollt euch das Übermorgen! Das nennt ihr Ehrlichkeit im Geschäft? Das ist Dummheit! Trägheit! Feigheit!«
    »Noch ein Wort …« Hannes hob die Hand. Der alte Baumgart trat zwischen ihn und Jochen und sah seinen ältesten Sohn mit gesenktem Kopf an.
    »Was würdest du tun?«
    »Den Kahn absaufen lassen! Oder hast du Geld, einen neuen zu kaufen?«
    »Das ist Betrug!«
    »Haben die, die uns betrügen, mehr Skrupel?«
    »Man soll Schlechtes mit Gutem vergelten.«
    »Idioten!« sagte Jochen leise und verließ die Kajüte.
    Jochen Baumgart stand noch draußen an den Ladebunkern und genoß den stillen Abend im Hafen, als ein Mädchen über die Laufplanke kam. Sie stutzte, als sie den großen, schlanken Mann an Bord sah, grüßte mit einem leichten Kopfnicken und ging nach hinten zu den Kajütenbauten.
    Verwundert sah Jochen ihr nach.
    Sie ist nicht zum ersten Male auf dem Kahn, dachte er. Ein Fremder geht nicht so sicher über den schwankenden Steg und rennt den schmalen Seitenstreifen entlang. Er ging dem Mädchen nach und betrat die Kajüte, als der alte Baumgart ihr gerade die Hand drückte.
    Hannes stand neben ihr und hatte den Arm um ihre Schulter gelegt. »Das ist Irene«, sagte er zu Jochen. »Irene Ballin.«
    »Angenehm.« Er verbeugte sich knapp. Reserviert höflich, ein wenig arrogant. »Ballin klingt nach Hamburg.«
    »Ich komme aus Bremen«, erklärte Irene. Ihre Stimme war hell und klar. Wie ihre Augen und ihr Haar, durchfuhr es Jochen. Ein nordischer Typ. Wie kam sie auf die ›Guter Weg‹?
    »Aus Bremen«, wiederholte er
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