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Auf doppelter Spur

Auf doppelter Spur

Titel: Auf doppelter Spur
Autoren: Agatha Christie
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entlang, durch die Tür, zögerte einen Augenblick in der Diele, öffnete dann die linke Tür – sie führte in ein leeres Esszimmer –, durchquerte die Diele und betrat das gegenüberliegende Wohnzimmer.
    Das erste, was ich sah, war eine ältere, grauhaarige Frau, die auf einem Stuhl saß. Sie wandte ruckartig den Kopf und fragte: »Wer ist da?«
    Ich merkte sofort, dass die Frau blind war. Kurz und sachlich sagte ich: »Eine junge Frau stürzte auf die Straße und behauptete, dass hier ein toter Mann läge.«
    Als ich das sagte, hatte ich ein Gefühl völliger Absurdität. Es schien unmöglich, dass in diesem ordentlichen Zimmer mit der ruhig mit gefalteten Händen auf dem Stuhl sitzenden Frau ein toter Mann sein sollte.
    Doch sie antwortete sofort: »Hinter dem Sofa.«
    Ich ging um die Sofaecke. Dann sah ich ihn – den ausgestreckten Arm – die glasigen Augen – die gerinnende Blutlache.
    »Wie ist das passiert?«, fragte ich kurz. »Wer ist es?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wir müssen die Polizei rufen. Wo ist das Telefon?«
    »Ich habe kein Telefon.«
    Ich betrachtete sie genauer.
    »Sie wohnen hier? Gehört das Haus Ihnen?«
    »Ja.«
    »Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
    »Gewiss. Ich kam vom Einkaufen. Ich merkte sofort, dass jemand im Zimmer war. Wenn man blind ist, spürt man das rasch. Ich fragte, wer da sei. Keine Antwort – nur ein hastiges Atmen. Ich ging auf das Geräusch zu – und dann schrie jemand etwas… dass jemand tot wäre, und ich auf ihn treten würde. Dann lief jemand schreiend an mir vorbei und aus dem Zimmer.«
    Ich nickte. Die Berichte stimmten überein.
    »Und was taten Sie?«
    »Ich tastete mich vorsichtig weiter, bis mein Fuß auf Widerstand stieß. Dann kniete ich nieder. Ich berührte etwas – die Hand eines Mannes. Sie war kalt, kein Pulsschlag… Ich stand auf, ging hierher und setzte mich, um zu warten. Über kurz oder lang musste jemand kommen. Die junge Frau, wer sie auch sein möge, würde Alarm schlagen. Ich hielt es für besser, das Haus nicht zu verlassen.«
    Die Ruhe dieser Frau beeindruckte mich. Sie hatte nicht geschrien, war nicht voller Panik aus dem Haus gestürzt. Sie hatte sich hingesetzt und gewartet.
    »Wer sind Sie eigentlich?«
    »Mein Name ist Colin Lamb. Ich kam zufällig hier vorbei.«
    »Wo ist die junge Frau?«
    »Ich habe sie neben die Pforte gesetzt. Sie hat einen Schock erlitten. Wo ist das nächste Telefon?«
    »Etwa fünfzig Meter weiter, kurz vor der Ecke.«
    »Natürlich. Ich erinnere mich, daran vorbeigegangen zu sein. Ich werde die Polizei anrufen.«
    »Am besten bringen Sie das Mädchen ins Haus – natürlich nicht in dieses Zimmer. Bringen Sie es ins Esszimmer. Sagen Sie, dass ich Tee zubereiten werde.«
    Sie stand auf und kam auf mich zu.
    »Aber – können Sie…?«
    »Junger Mann – ich habe mir meine Mahlzeiten in meiner eigenen Küche selbst zubereitet, seit ich hier wohne – seit vierzehn Jahren. Blind sein heißt nicht unbedingt hilflos sein.«
    »Verzeihung. Es war töricht von mir. Vielleicht sollten Sie mir Ihren Namen nennen?«
    »Millicent Pebmarsh – Miss.«
    Ich ging aus dem Haus und den Weg entlang. Das Mädchen sah mich an und versuchte aufzustehen.
    »Da… da war ein toter Mann, nicht wahr?«
    Ich bestätigte es. »Ja. Ich gehe nur zur Telefonzelle und melde es der Polizei. Ich würde an Ihrer Stelle im Hause warten.« Ich sprach lauter, um ihren Protest zu übertönen. »Gehen Sie ins Esszimmer – links, wenn Sie hineinkommen. Miss Pebmarsh macht eine Tasse Tee für Sie. Die wird Ihnen guttun, während Sie auf die Polizei warten.«
    Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und drängte sie den Weg entlang, setzte sie an den Esszimmertisch und lief zum Telefon.
     
    Eine ruhige Stimme sagte: »Crowdean-Polizeirevier.«
    »Kann ich Inspektor Hardcastle sprechen?«
    Die Stimme wurde vorsichtig.
    »Ich weiß nicht, ob er da ist. Wer ist am Apparat?«
    »Colin Lamb.«
    »Colin?«, fragte einen Augenblick später Hardcastles Stimme. »Ich dachte nicht, dass du schon zurück wärst. Wo steckst du?«
    »Crowdean. Genau in Wilbraham Crescent. In Nr. 19 liegt ein Mann tot auf dem Fußboden, erstochen, glaube ich. Er ist ungefähr eine halbe Stunde tot.«
    »Wer hat ihn gefunden? Du?«
    »Nein, ich war nur ein harmloser Passant. Plötzlich raste ein Mädchen aus dem Haus und stieß mich fast um. Es sagte, dort läge ein toter Mann auf dem Fußboden, und eine blinde Frau trampelte auf ihm herum.«
    »Du willst mich doch
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