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Auf die Ohren

Auf die Ohren

Titel: Auf die Ohren
Autoren: Jochen Till
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die Luft und lasse sie zusammenkrachen.
    »Eins, zwei, drei, vier!«
    Mein rechter Fuß drückt das Pedal der Fußmaschine nach unten. Das erste Krachen der Bassdrum scheint die gesamte Halle zum Schwingen zu bringen. Fuck, was für ein geiler, geiler Sound! Ich lege los, die Jungs steigen perfekt ein, gleich ist Clarissa dran.
    Habt ihr lang gewartet?
    Seid ihr jetzt schon breit?
    Seid ihr taub geboren
    und es endlich leid?
    Stellt die Löffel aufwärts!
    Dreht die Lauscher weit!
    Jetzt gibt’s auf die Ohren!
    Wird auch höchste Zeit!
    Ohren auf und auf die Ohren!
    Hört gut zu und seid gut drauf!
    Ohren auf und auf die Ohren!
    Auf die Ohren, Ohren auf!
    Okay, das Ganze noch mal. Meine Anfangsnervosität ist wie weggeblasen, bei den anderen offenbar auch, denn es läuft sehr gut. Clarissa wirkt jetzt ebenfalls viel lockerer und gibt richtig Gas.
    Der Opener geht direkt ins nächste Lied über, da bleibt noch nicht einmal Zeit für Applaus. Es ist also schwer zu sagen, wie es den Leuten gefällt. Ein ausgesprochenes Punk-Publikum ist das hier heute natürlich allein rein optisch nicht, es gibt kaum Punks bei uns in der Stufe, und selbst die haben sich heute verhältnismäßig chic gemacht. Aber einige Leute vorne an der Bühne rocken und wippen bereits kräftig mit, das macht Mut.
    Als viertes Lied spielen wir Herzen aus Deutschland, mein erster Härtetest. Bei der ersten Bridge verhaue ich mich ziemlich und ärgere mich so sehr darüber, dass ich das Mitsingen beim Refrain vergesse. Fuck, verdammt! So was darf einfach nicht passieren, schon gar nicht heute! Wenigstens habe ich niemanden rausgebracht, aber dem Sony-Typ ist das mit Sicherheit negativ aufgefallen.
    Da das nächste Lied für mich etwas weniger aufwändig ist, nutze ich die Gelegenheit, um nach ihm Ausschau zu halten. Es dauert eine Weile, bis ich ihn im Publikum entdecke. Durch das grelle Scheinwerferlicht ist unterhalb der Bühne sowieso kaum jemand zu erkennen, aber dann sehe ich ihn doch. Er steht ziemlich weit hinten in der Nähe der Bar, seitlich an eine Säule gelehnt. Und er bewegt keinen Muskel. Scheiße, das ist kein gutes Zeichen. Ich meine, wenn ich auf einem Konzert bin und die Musik gefällt mir auch nur einigermaßen, dann wippe ich doch zumindest mal mit dem Kopf oder allerwenigstens mit dem Fuß, oder? Aber bei diesem Kerl bewegt sich wirklich gar nichts, was nur eins bedeuten kann: Es gefällt ihm nicht. Oder Typen von Plattenfirmen sind zu cool, um mit dem Fuß zu wippen. Ich will mal schwer hoffen, dass es das ist, sonst …
    Moment mal, wieso spielen die Jungs denn nicht mehr? Und wieso gucken sie mich so streng an? Ich höre ebenfalls auf zu spielen und schaue fragend in die Runde. Steffen schiebt sich in meine Richtung und beugt sich zu mir über das Schlagzeug.
    »Da kam noch eine Strophe«, zischt er mir grinsend zu. »Du warst schon im Refrain. Hast uns komplett rausgebracht.«
    Was?! Oh fuck, verdammt! Das ist mir noch nicht mal beim Proben passiert. Scheiße, ist das peinlich! Wo ist ein Loch im Boden, wenn man es mal braucht, um darin zu versinken?
    Christopher tritt an Clarissas Mikro und zieht es an seine Lippen.
    »Dies, liebe Freunde, war eine von uns geplante Demonstration, um auf die schrecklichen Gefahren des sogenannten Schlagzeuger-Syndroms hinzuweisen. Auch unser Schlagzeuger ist von dieser heimtückischen Krankheit befallen, die bewirkt, dass bei jedem dritten Schlag auf eine Trommel Millionen von Gehirnzellen explodieren. Dies hat zur Folge, dass Schlagzeuger im Allgemeinen schlichtweg für dumm gehalten werden, was aber nur in 99,9 Prozent der Fälle stimmt. Um die artgerechte Haltung und Pflege unseres Schlagzeugers in Zukunft zu gewährleisten, bitten wir um großzügige Geldspenden auf das Konto eines Gitarristen eurer Wahl. Wir spielen den Song jetzt noch mal. Steffen, schubst du bitte den Schlagzeuger wieder an?«
    Ich spiele mit und verharre so lange regungslos wie eine fadenlose Marionette, bis Steffen mich mit einem Finger anstupst. Aus dem Publikum sind zahlreiche Lacher zu hören – gut gerettet, Christopher, wenn auch auf meine Kosten, aber das habe ich wohl verdient.
    Wir spielen das Lied noch einmal und ohne Unterbrechung bis zum Ende durch, aber irgendwie erhole ich mich nicht mehr so richtig von meinem Fehler. In jedem der folgenden Songs verhaue ich mich mindestens einmal und werde immer saurer auf mich selbst, was es nur noch schlimmer werden lässt. Als ich dann bei Olaf auch noch
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