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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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ihrer Spitze stürzte sich Leontodon auf Chiffon Rouge.
     Nun gab es unter den Riesenstämmen im roten Lichte ein Heulen und Frohlocken, als ob das wilde Heer vorüberzöge, und heiße Mordgier breitete sich aus. In dunklen Massen wälzten und zerrten die Tiere sich am Boden, und andere, die einander hetz- ten, umfuhren unseren Stand in weitem Kreis. Wir suchten in das Gemetzel, dessen Tosen die Luft er- füllte, einzugreifen, doch war es schwierig, die roten Doggen mit Stichen und Schüssen zu erreichen, ohne auch die Molosser zu beschädigen. Nur dort, wo uns die Jagd gleich einer Ringelbahn umkreiste, gelang es die Figuren getrennt aufs Korn zu bringen und krumm zu machen, wie man auf Flugwild schießt. Hier zeigte sich, daß ich mit meiner Waffe, ohne es zu ahnen, die beste Wahl getroffen hatte, die mög- lich war. Ich suchte abzukommen, wenn das Auge über dem Silber-Korne die schwarze Maske sah, und war dann sicher, daß sich das Tier im Feuer streckte, ohne noch einen Zuck zu tun.
     Aber auch drüben, auf der anderen Seite, sahen wir Schüsse blitzen und errieten, daß man dort die Molosser aus der Hetzbahn schoß. Auf diese Weise glich das Scharmützel einem Jagen, das sich ellipsen- förmig um zwei Feuerpunkte schloß, indes die große Meute auf der kurzen Achse im Kampfe lag. Die Bahn erhellte sich im Verlauf des Treffens durch Feuersäulen, denn wo die Fackeln zu Boden fielen, da flammte lohend das dürre Buschwerk auf.
     Bald zeigte sich, daß die Molosser dem Bluthund überlegen waren, zwar nicht an Stärke des Gebisses, wohl aber an Schwere und Angriffskraft. Doch wa- ren die roten Doggen in der Überzahl. Auch schien es, daß von drüben noch frische Koppeln in das Treiben geworfen wurden, denn es fiel uns immer schwerer, den Hunden beizustehn. Der Bluthund nämlich war sorgsam abgerichtet, den Menschen aufzusuchen, den der Oberförster als bestes Wild bezeichnete; und als die Anzahl der Molosser nicht mehr genügte, lenkte die Sorge für unsere Sicherheit die Blicke vom Jagen ab. Bald aus den dunklen Büschen, bald aus dem Qualm der Feuerbrände schoß eins der roten Tiere auf uns zu, und Schreie kündeten es an. Da mußten wir eilig sorgen, daß es im Ansprung auf der Strecke blieb — doch wurde manches erst von den Spießen der Knechte auf- gefangen, und auf manches sauste die Doppelaxt des alten Belovar hernieder, wenn es schon lechzend auf dem Opfer lag.
     Schon sahen wir die ersten bösen Risse leuchten; auch schien es mir, als ob die Rufe der Knechte hef- tiger und aufgeregter würden — in solchen Lagen kündet ein Unterton wie leises Weinen, daß die Ver- zweiflung sich zu nähern droht. In diese Rufe mischte sich das Geheul der Meuten, das Knallen der Schüsse und das Geistern der Flammen ein. Auch hörten wir aus dem Tannicht ein mächtiges Gelächter schallen, ein röhrendes Joho, das uns verkündete, daß nun der Oberförster mit im Trei- ben war. In diesem Lachen erklang die fürchterliche Jovialität, die ihm zu eigen war; der Alte gehörte noch zu den großen Herren, die hoch frohlocken, wenn man ihnen trotzt. Auch war der Schrecken sein Element.
     In diesem Trubel begann mir heiß zu werden, und ich fühlte, daß die Erregung auf mich übersprang. Doch tauchte, wie schon oft in solchen Lagen, das Bildnis meines alten Waffenmeisters van Kerkhoven in meinem Geiste auf. Dieser, ein kleiner Flame mit rotem Barte, der mich im Fußdienst abgerichtet hatte, pflegte oft zu sagen, daß ein gezielter Schuß zehn andere überwiege, die man zu hastig aus dem Laufe wirft. Auch prägte er mir ein, an jenen Punk- ten des Gefechtes, an denen der Schrecken sich verbreiten würde, den Zeigefinger gestreckt zu hal- ten und ruhig Luft zu schöpfen — denn jener sei am stärksten, der gut geatmet hat.
     Dieser Kerkhoven also tauchte vor mir auf— denn jede echte Lehre ist Geistes-Sache, und die Eben- bilder der guten Lehrer stehn uns im Drangsal bei. Und wie dereinst im Norden vor dem Scheiben- stande, setzte ich ab, um langsam durchzuatmen, und fühlte, wie sogleich der Blick sich klärte, und die Brust mir freier ward.
     Mißlich vor allem, als das Treffen sich zum Bösen wandte, war, daß der Qualm uns immer mehr das Schußfeld nahm. So wurden die Kämpfer vereinzelt, und die Dinge tauchten ins Ungewisse ein. Auch brachen die roten Doggen aus immer kürzerer Entfernung vor. So sah ich mehr als einmal Chif- fon Rouge an meinem Stand vorüberwechseln, doch suchte das kluge Ungeheuer, sowie ich
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