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Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Titel: Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Autoren: Agatha Christie
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–«
    »Aber er wollte etwas, das sie besaß.«
    »Geld? Die australische Erbschaft?«
    »Nein, mein Freund – etwas ganz anderes.« Nach einer kurzen Pause fuhr er ernsthaft fort: »Einen verbeulten Blechkoffer…«
    Ich sah ihn von der Seite an. Seine Äußerung schien so phantastisch, daß ich den Verdacht hegte, er wolle sich über mich lustig machen. Er war jedoch völlig ernst und gemessen.
    »Spaß beiseite«, sagte ich, »er hätte sich doch einen Koffer kaufen können, wenn er einen brauchte.«
    »Einen neuen Koffer wollte er nicht. Er wollte einen Koffer mit Stammbaum. Einen Koffer von unzweifelhafter Achtbarkeit.«
    »Nun aber langsam, Poirot! Sie wollen mich wohl zum Narren halten!«
    Er sah mich an.
    »Sie haben nicht das Gehirn und die Phantasie von Simpson, Hastings. Sehen Sie mal: Mittwoch abend lockt Simpson die Köchin weg. Eine bedruckte Karte und ein bedruckter Briefbogen sind leicht zu beschaffen, und er ist willens, hundertfünfzig Pfund und eine Jahresmiete für das Haus zu bezahlen, um den Erfolg seines Planes zu sichern. Miss Dunn erkennt ihn nicht – der Bart, der Hut, der leichte Kolonialakzent täuschen sie vollständig. So endet der Mittwoch, abgesehen von der Lappalie, daß Simpson Effekten im Werte von fünfzigtausend Pfund in der Tasche hat.«
    »Simpson – aber es war doch Davis –«
    »Wenn Sie mich ausreden lassen wollten, Hastings. Simpson weiß, daß der Diebstahl Donnerstag nachmittag entdeckt wird. Er geht am Donnerstag nicht zur Bank, lauert aber Davis auf, als dieser zum Essen geht. Vielleicht gibt er den Diebstahl zu und sagt Davis, er wolle ihm die Wertpapiere zurückgeben – auf jeden Fall gelingt es ihm, Davis mit nach Clapham zu locken. Das Mädchen hat Ausgang, und Mrs. Todd ist beim Ausverkauf, also niemand im Hause. Wenn der Diebstahl entdeckt wird und Davis fehlt, kann nur der Schluß gezogen werden: Davis ist der Dieb! Mr. Simpson ist völlig sicher und kann am nächsten Tag zur Arbeit zurückkehren als der ehrliche Angestellte, für den man ihn hält.«
    »Und Davis?«
    »Unglaublich kaltblütig natürlich, aber gibt’s eine andere Erklärung, mon ami? Das Hauptproblem eines Mörders ist: wohin mit der Leiche? Das hatte Simpson im voraus geplant. Eins fiel mir sofort auf: obwohl Eliza Dunn beim Weggehen offenbar die Absicht hatte, abends zurückzukehren (siehe ihre Bemerkung über das Pfirsichkompott), war der Koffer bereits fix und fertig gepackt, als er abgeholt wurde. Es war natürlich Simpson, der dem Spediteur Paterson Bescheid gegeben hatte, den Koffer abzuholen, und Simpson, der den Koffer Donnerstag nachmittag verschnürt hatte. Was für ein Verdacht konnte schon aufkommen? Ein Dienstbote geht aus dem Haus und läßt den Koffer abholen, der wahrscheinlich bereits auf ihren Namen an einen Bahnhof adressiert ist, der von London leicht zu erreichen ist. Sonnabend nachmittag holt Simpson den Koffer in seiner Verkleidung als Australier dort ab, klebt einen neuen Zettel mit neuer Adresse darauf und schickt ihn an einen anderen Bahnhof zur Aufbewahrung, bis er abgeholt wird. Wenn die Behörden aus wohlzuverstehenden Gründen Verdacht schöpfen und ihn öffnen, ja, dann kann eine Nachforschung nur ergeben, daß jemand aus den Kolonien ihn von einem Knotenpunkt bei London abgeschickt hat. Nichts wird den Koffer mit der Prince Albert Road in Verbindung bringen. Ah, da wären wir ja schon!«
    Poirots Vorhersage erwies sich als richtig. Simpson war vor zwei Tagen abgereist. Aber er sollte den Folgen seines Verbrechens nicht entgehen. Über Funk wurde er an Bord der Olympia entdeckt.
    Ein an Mr. Henry Wintergreen adressierter Blechkoffer erregte die Aufmerksamkeit von Eisenbahnbeamten in Glasgow. Er wurde geöffnet, und man fand die Leiche des unglückseligen Davis.
    Mrs. Todds Scheck über eine Guinea wurde niemals eingelöst. Poirot ließ ihn einrahmen und hängte ihn in unserem Vorzimmer an die Wand.
    »Für mich ist er ein kleiner Denkzettel, Hastings, der mich daran gemahnen soll, niemals das Triviale und Würdelose zu verachten. Eine verschwundene Köchin an einem Ende – ein kaltblütiger Mord am anderen. Für mich einer meiner interessantesten Fälle.«
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