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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Autoren: Mo Hayder
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können.«
    Isabelles Haus stand eine Meile nördlich von Bath, wo der steile Hang von Lansdown allmählich in ebeneres Gelände überging. Im Nordwesten lag das Tiefland mit den Golfplätzen, und im Osten grenzte Pollock’s Farm an Isabelles Garten. Die Farm verfiel seit drei Jahren, nachdem der Eigentümer, der alte Pollock, verrückt geworden war und, wie man erzählte, angefangen hatte, Desinfektionsmittel für Schafe zu trinken. Die Ernte verrottete auf den Feldern und erstickte im Unkraut, und welke braune Maiskolben hingen an den Stielen. Halb zerlegte Maschinen rosteten auf den Feldwegen, die Schweinetröge waren voll von abgestandenem Regenwasser, und in die verfaulenden Silage-Pyramiden waren die Ratten eingefallen und hatten sie zernagt, bis sie aussahen wie die Ruinen einer vergessenen Kultur. Jeder Schritt dort war gefährlich – nicht nur wegen der Hinterlassenschaften auf den Feldern, sondern auch, weil das Gelände mittendrin jäh abbrach: Ein uralter Steinbruch zog sich als tiefer Einschnitt durch die Hanglandschaft. Das Bauernhaus stand auf dem Grund dieses Steinbruchs; man konnte oben auf dem Feld stehen und durch die Bäume auf das Dach hinunterschauen. Da war der alte Pollock gestorben, in seinem Sessel vor dem Fernseher. Monatelang hatte er da gesessen, während die Jahreszeiten wechselten, das Haus verfiel und der Strom abgeschaltet wurde, bis ein Speed-Junkie auf der Suche nach einem ungestörten Plätzchen ihn gefunden hatte.
    »Die Jungs sind noch schlimmer, seit das passiert ist. Ehrlich, es wirkt wie ein Magnet auf sie. Sie machen sich gegenseitig heiß. Es macht ihnen einfach Spaß, einander Angst einzujagen und sich herauszufordern.« Seufzend wandte Isabelle sich vom Fenster ab und ging zurück zum Herd. Die Siruptorte kühlte daneben auf einem Gitter ab. »Ich kann sagen, was ich will. Sie tun so, als gingen sie nicht hin, aber ich weiß, dass sie es doch tun. Und wenn nicht sie, dann auf jeden Fall irgendjemand. Ich war vor ungefähr einem Monat unten, und es ist furchtbar. Das Haus ist übersät von Chips-Tüten, Cider-Flaschen und allen Abscheulichkeiten, die du dir nur vorstellen kannst. Nicht mehr lange, und einer von ihnen tritt auf eine Spritze. Vorgestern hab ich in Nials Papierkorb eine Bierdose gefunden, und Peter traue ich nicht. Ich habe gesehen, dass er Krusten am Mund hat. Weißt du, was das bedeutet?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht, hab aber automatisch an Drogen gedacht. Vielleicht sollte ich es seiner Mutter sagen – wer weiß? Jedenfalls – dieser Bauernhof.« Sie zeigte zum Fenster. »Es hilft alles nichts. Je eher die Erbschaftsverhältnisse geklärt sind und der Hof verkauft ist, desto besser. Ich hab dem Gärtner immer wieder gesagt, er soll den Zaunübertritt versperren, aber er kommt einfach nicht dazu. Sie sind in diesem Alter, und man denkt unwillkürlich …«
    Ein kleiner Schauer lief ihr über den Rücken, und ihr Blick huschte kurz zu Sallys Tasche. Vielleicht dachte sie an Millies Gesicht auf der Tarot-Karte. Oder an Lorne Wood. Vermisst seit sechzehn Stunden. Dann hellte ihre Miene sich auf. »Keine Sorge«, sagte sie. »Ich behalte sie im Auge. Und um sechs fahre ich sie rüber zu Julian. Du hast absolut keinen Grund, dir Sorgen zu machen.«

4
    Lorne Wood hatte in diesem Frühjahr die Gewohnheit gehabt, zum Shoppen in die Stadt und dann zu Fuß nach Hause zu gehen. Ihr Weg führte durch Sydney Gardens und dann weiter zu dem Leinpfad, an dem ihr Haus stand, etwa eine halbe Meile weiter östlich. Sydney Gardens war der älteste Park in Bath, berühmt für den Nachbau des römischen Minerva-Tempels. Er war außerdem ein berüchtigter Schwulentreff; man brauchte nur einen Schritt vom Weg abzuweichen, und schon sah man einen jungen, hübsch gekleideten jungen Mann, der mit hoffnungsvollem Lächeln im Gebüsch stand. Eltern schoben ihre Kinder mit Entschlossenheit an den Toilettenhäuschen vorbei und lenkten ihre Aufmerksamkeit durch lautes Reden ab, und Hundehalter suchten regelmäßig die Tierärzte der Umgebung auf, weil ihre Hunde sich an benutzten Kondomen verschluckt hatten, die sie im Gestrüpp aufgestöbert hatten. Durch den Park führte eine Bahnlinie, die von der Polizei bereits gründlich abgesucht worden war, weil es schon vorgekommen war, dass ein rasender Zug eine Leiche so sehr pulverisiert und verstreut hatte, dass sie praktisch verschwunden war. Aber jetzt suchte die Polizei keine Leiche mehr. Sie suchte nach Hinweisen darauf, wie Lorne
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