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@ E.R.O.S.

@ E.R.O.S.

Titel: @ E.R.O.S.
Autoren: Greg Iles
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Argumente waren wasserdicht. Die Geschäftsführerin von EROS nimmt diese Privatsphäre so ernst, daß sie die Geheimhaltung der Identität eines jeden Abonnenten mit einer Million Dollar versichert hat. Dieser einzigartige Schritt in der Welt der Online-Dienste hatte viel dazu beigetragen, das exponentielle Wachstum ihrer kleinen und teuren Abteilung der digitalen Welt zu gewährleisten. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was für ein Erdbeben meine Entscheidung, die Polizei einzubeziehen, in der EROS-Zentrale in New York auslösen wird.
    Als Hard Copy von Werbespots unterbrochen wird, requiriert Drewe den Küchentisch und das Telefon, um die Eintragungen in den Patientenakten auf den neuesten Stand zu bringen und ihre Berichte zu diktieren. Aus irgendeinem Grund sind diese Unterlagen der einzige Teil ihrer Pflichten, den meine sonst so überaus ordentliche Frau nicht pünktlich erledigen kann oder will. Die mit Farbkodes versehenen Aktenstapel, die sie aus dem Büro mit nach Hause bringt, sind oft mit drohenden Mahnungen des Verwaltungsdirektors des Krankenhauses versehen, die in drakonischem Stil warnen, Drewe könne ihrer Privilegien als Angehörige der Abteilungsleitung verlustig gehen.
    Während ihre monoton diktierende Stimme durch das Haus hallt, ziehe ich mich in mein Büro zurück und greife mir eine der fünf Gitarren, die an der Wand über dem Doppelbett hängen, auf dem ich mich schon mal ein paar Minuten lang ausruhe, wenn mich die manische Börsenaktivität überkommt. Ich entscheide mich für eine Martin D-28S mit klassisch breitem Hals, aber Stahlsaiten. Ich gleite durch ein paar Akkorde und lasse meinen Gedanken und Fingern freien Lauf. Die Musik hätte einen zufälligen Zuhörer überrascht. Ich bin einguter Gitarrist. Nicht gerade ein Naturtalent, aber doch ein so versierter, daß ich mir damit den Lebensunterhalt verdienen könnte. Das ist mein alter Beruf.
    Ich bin gescheiterter Musiker.
    Die Erinnerungen an diese Laufbahn tun noch weh. Ich greife jetzt öfter zu dem Instrument, doch drei Jahre lang habe ich keine Gitarre angefaßt und zwölf Monate lang nicht gesungen. Selbst jetzt noch spiele ich nie meine eigenen Songs. Ich tue nur das, was ich jetzt tue, lasse dem Teil meines Gehirns, der diese Funktion kontrolliert, freien Lauf und schalte meine Stimmung auf Autopilot.
    Manchmal überrasche ich mich selbst.
    Wie jetzt. Ich habe irgendwie ein langsames Jazzstück voller Arreggios und gedehnter Akkorde in die Einleitung von »Still Crazy After All These Years« übergehen lassen. Ich weiß, ich liebe den hinterhältigen siebenten am Ende dieser Zeile: »I met my o-old lover on the street last night« – päng . Verdammt, was soll’s, denke ich, singe mich durch den ganzen Song und ende völlig unbeabsichtigt bei einem möglichen Mord. »Now I sit by my window and I watch the cars. And I fear I’ll do some damage one fine day. But I would not be convicted by a jury of my peers ...« Als ich fertig bin und den nicht vorhandenen Ovationen lausche, merke ich, daß Drewe mein Arbeitszimmer betreten hat und neben der Tür steht. Zum erstenmal seit sechs Wochen.
    »Hört sich gut an«, sagt sie. »Wirklich gut.«
    »Es fühlt sich gut an.«
    »Denkst du an eine alte Liebhaberin?«
    »Nein. An meinesgleichen. Was glaubst du, was wohl aus ihnen geworden ist?«
    Sie lächelt bedauernd. »Sie sind erwachsen geworden, haben geheiratet und Kinder bekommen.«
    Wie die meisten Männer habe ich blindlings den Bock geschossen, auf unseren Streit zurückzukommen. Ein Kind kriegen. Ich nehme an, eine Menge Paare in unserem Alter führen diese Debatte. Zumindest oben im Norden und im Westen.Unten im Süden bekommen die meisten Paare ihre Kinder noch, wenn sie in den Zwanzigern sind.
    Wir nicht.
    Zum Teil tragen unsere Berufe Schuld daran. Fahrende Sänger und erschöpfte Medizinstudentinnen sind kaum in der idealen Position, eine Familie zu gründen, selbst wenn sie verheiratet sind, was Drewe und ich nicht waren, bis ich die Musik aufgab. Aber es steckt noch mehr dahinter. Seit wir verheiratet sind, haben wir ein ziemlich geregeltes Leben geführt, und unser gemeinsames Einkommen ist schon fast unanständig hoch. Meine Eltern sind tot, aber Drewes sind gerade von sanften Anspielungen dazu übergegangen, meine Fortpflanzungsfähigkeit überhaupt in Frage zu stellen.
    Wenn nur die Anzahl meiner Samenfäden sowie ihre Beweglichkeit das Problem wäre. Wie viele andere Menschen auch habe ich meine Geheimnisse.
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