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Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)

Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)

Titel: Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Autoren: Ilsa J. Bick
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knabberte und sich die süßen, in der Nachmittagshitze geschmolzenen Schokoladenrinnsale von Hand, Unterarm und Ellbogen leckte. Ja, so war ihr Vater.
    Höchstwahrscheinlich war sie nicht einmal zehn Sekunden unter Wasser gewesen und ganz allein wieder hochgekommen – und auch nur, weil ihr Dad ihr Mut gemacht hatte. Nach diesem Sprung glaubte sie wirklich, sie könne alles schaffen, egal was. Wenn sie sprang, würde ihr Vater stets auf sie warten und Seite an Seite, Zug für Zug, bis in alle Ewigkeit neben ihr schwimmen.
    Damals war sie neun und glaubte, ihr Dad wäre unsterblich.
    Doch nichts ist von Dauer.
    Jahre später, nach dem Tod ihrer Eltern, sagten ihr die Ärzte, sie habe eine außerkörperliche Erfahrung gemacht. Das sei etwas ganz Normales, keine Zauberei. Manche Epileptiker hätten ständig ähnliche Erlebnisse. Und Mystiker und Schamanen erhofften sich, mithilfe ihrer Tränke zu den Sternen zu schweben und die Götter zu sehen. Dabei sei das alles nicht mehr als sonderbare Hirnchemie, man müsse nur die Schalter umlegen, die in unserem Hirn schon vorhanden seien, es gewissermaßen an der richtigen Stelle kitzeln und ein klein bisschen anstupsen. Ganz banal. Aber sollte einmal jemand dahinterkommen, wie das genau funktionierte, dann könnten wir uns alle freuen.
    Alex’ letzter Arzt meinte sogar, was sie an den Blackrocks-Klippen erlebt hatte, sei vielleicht schon das erste Anzeichen des erwachenden Monsters gewesen. Demnach wären ihre Schlaflosigkeit und der eingebildete Rauchgeruch gar nicht die ersten Symptome gewesen. Das kleine Monsterbaby hatte sich schon damals ein Guckloch freigehackt, Stück für Stück, bis es mit einem gelben Babymonsterauge hindurchspähen konnte: Hallo da draußen!
    Und seitdem war Alex immer tiefer und tiefer gestürzt …
    Bis ins Hier und Jetzt.

Teil I
    INS DUNKLE

1
    Unter einem Hagel aus Holzsplittern und Steinen fiel Alex ins Dunkle. Ringsum brach das Bergwerk in sich zusammen, und aus ihrem Fluchtschacht quoll Wasser empor. Sie konnte riechen, wie das Ende auf sie zuraste, das Wasser eisig und metallisch, ein Geruch von Schnee und Stahl, in den sich der seltsam prickelnde Gestank von faulen Eiern mischte. Hoch oben, in weiter Ferne, verdüsterten sich die Sterne. Wo noch vor wenigen Minuten Tom gestanden hatte, geisterten zähflüssige, ölige Schatten herum, während die Erde sich auftat und in sich zusammenstürzte.
    Sie hatte Physikunterricht gehabt. Die Endgeschwindigkeit war … na ja, nicht umsonst steckte das Wort Ende darin. Sogar eine Ameise zerschellt, wenn sie sich lang genug im freien Fall befindet. Wird man nach einer gewissen Fallhöhe abrupt gestoppt – wenn auch nur durch Wasser –, ist das, als würde man mit einem Auto gegen eine Ziegelwand fahren. Klar, das Auto knautscht sich zusammen, aber auf alles andere – die Insassen, die Sitze, alles, was beweglich ist – wirkt ein ebensolcher Kraftimpuls. Die Menschen werden gegeneinander oder gegen die Sitze oder die Windschutzscheibe geschleudert, und Hirn, Herz und Lungen krachen gegen Knochen. Also egal, was dort unten auch war: Wenn Alex lang genug fiel, würde sie beim Aufprall nicht nur verletzt werden, sondern sterben.
    Sie hatte das Gefühl, sie würde schreien, konnte sich aber bei diesem Krach aus prasselnden Steinen und brodelndem Wasser selbst nicht hören. Etwas Hartes schlug gegen ihren Hinterkopf – kein Stein, sondern Leopards Uzi, die sie immer noch um die Schulter trug und deren Tragegurt ihr in die rechte Achsel schnitt. Leopards Glock 19 bohrte sich wie eine Faust in ihr Kreuz. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, alle Glocks hätten Abzugssicherungen. Zwar glaubte sie nicht, dass die Pistole losging und ihr ein Loch in die Wirbelsäule oder in den Hintern schoss, aber es gab für alles ein erstes Mal. Zum Beispiel für das Ende der Welt. Oder einen Sturz in den Tod. Andererseits … so eine schöne, schnelle tödliche Kugel …
    Und dann war es plötzlich so weit. Im allerletzten Moment schloss sie den Mund, hielt den Atem an und dachte daran, dass sie weiterleben wollte wegen … na ja, wegen irgendwas. Oder irgendwem. Vielleicht wegen Tom. Nein, was Tom anging, gab es kein Vielleicht. Sie hatte Tom nicht verlassen wollen, aber sie hatte auch nicht zulassen können, dass er starb – nicht ihretwegen. Das war der letzte gute Gedanke, den sie fassen konnte. Sie wünschte sich sein Überleben so sehr, dass es schmerzte …
    Und dann blieb kein Moment mehr.
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