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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House
Autoren: V Ludewig
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meiner Schwester allein. Ich hielte es für besser, wenn noch jemand im Haus wäre, der sich um Lucille kümmert. Unsere Beziehung ist momentan sehr angespannt, und ich fühle mich überfordert.« Sie rang um Fassung. Es wirkte überzeugend. »Sie braucht ständige Betreuung, und ich fürchte, dass ich ihr in diesem Zustand nicht gerecht werden kann.«
    Steerpike war aufgestanden und schaute sie mit einem offenen, aber schwer deutbaren Blick an.
    »Wäre es unverschämt, Sie zu bitten, das Herrenzimmer zu beziehen? Freilich will ich nicht, dass Ihnen durch unsere hastige Planänderung, die in der gegebenen Situation leider unvermeidbar war, irgendwelche Umstände entstehen.«
    Kurz bevor man sein Schweigen als Beleidigung hätte auffassen können, begann er zu sprechen: »Es wird mir eine Freude sein, Ihnen zu dienen, Miss Shalott. Sobald ich das Feuer in Gang habe, gehe ich meine Sachen holen.«
    Sie verbannte den Triumph, den sie verspürte, aus ihrem Lächeln, nickte ihm zu und verließ das Schlafzimmer. Auf dem Korridor ließ sie ihrem breitesten Grinsen freien Lauf.

KAPITEL 3
    Am Nachmittag hatte der Schneefall nachgelassen, und das restliche Reisegepäck der Schwestern war angeliefert worden. Laura hatte den Transport der Koffer und Truhen überwacht, dabei immer ein wachsames Auge auf die Büsche und Sträucher werfend, hinter denen der Höllenhund nach Steerpikes Ankunft verschwunden war, und dann begonnen, ihre Wohnräume mit eigenen Bildern persönlich zu gestalten. Wie weit weg sie von der Heimat war, wurde ihr bewusst, als sie ein Bild ihrer verstorbenen Eltern in der Hand hielt. Sie hatte niemanden mehr, von Lucille einmal abgesehen. Ihre Freunde waren weit entfernt. Nach dem Unfall hatte es ohnehin nicht mehr viele gegeben. »Ich will nicht mehr an gestern denken«, redete sie sich zum tausendsten Male ein. An Deborah Ashbys Sekretär machte sie einen Eintrag in ihr Reisejournal:
    Wir sind angekommen. Besser, ich mache das Beste aus dem, was ich habe. Bislang ist es mir noch immer gelungen weiterzumachen, wenn ich dachte, das Ende sei nahe, und aufzustehen, wenn mich mal wieder jemand zu Boden getreten hat. Ich werde mir wieder einmal selbst helfen und nicht darauf warten, dass mir ein anderer das Leben leichter macht. Und wenn er es mir erschweren möchte, wird mir schon etwas einfallen.
    Laura verfügte über das neiderregende Talent, ihren eigenen Worten Glauben zu schenken. Man konnte auch behaupten, sie redete sich etwas ein. Auch im Verdrängen böser Erinnerungen und in ihrem Optimismus selbst angesichts schlechter Prognosen war sie sehr versiert. Sie überflog die frisch eingetragenen Zeilen mehrmals und rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab.
     
    Pünktlich um vier Uhr nachmittags servierte Steerpike den Tee in der Bibliothek. Lieber hätte sie ihn gemeinsam mit dem Bediensteten in der Küche eingenommen, aber es galt, Distanz zu wahren, jetzt, wo sie ihren Willen bekommen und Steerpike sich in Lord Ashbys zugigen Gemächern eingerichtet hatte. Ein junger Bursche mit wildlockigem schwarzen Haar, wortkarg und glutäugig, vermutlich ein Angestellter des »Three Suns«, hatte ihm geholfen, seine Taschen und Koffer nach Ashby House zu bringen. Es war erstaunlich viel Gepäck, und Laura fragte sich, ob die Truhen und Kisten Steerpikes sämtliche Habe beinhalteten.
    Während Laura ihren Tee in der Bibliothek zu sich nahm (nicht ohne zuvor fast eine halbe Flasche ihres durchdringenden Gardenienparfüms zerstäubt zu haben, um den Geruch des alten Papiers zu übertönen), stärkten sich die Männer in der Küche. Da Laura in ihrer eigenen Gesellschaft selten langweilig war, inspizierte sie den Inhalt der hohen Regale. Ledergebundene Bände mit Goldprägung standen neben unordentlichen Stapeln von Notizbüchern und Kladden. Sie konnte keine Systematik in der Anordnung der Bände ausmachen und verlor bald das Interesse. Berichte über die sakralen Riten der Ebu Gogo in Java, ›Satan bei Tasso und Marino‹, Anwendungen von Naturstoffen zur Stimulierung der menschlichen Gemütszustände oder Johann Jakob BachofensTheorien zum Matriarchat erschienen ihr keinesfalls lesenswert. Ebenso wenig die gesammelten Werke Friedrich Engels’, das Jahrbuch des Deutschen Ägyptologischen Instituts, das Drama ›The Unhappy Revenge‹ von Swinburne oder Pierre Quillards Gedichtband ›La lyre héroique et dolente‹. Sie beschloss, wie zuvor dem Schlafgemach Deborah Ashleys nun auch der Bibliothek den
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