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Aschenputtelfluch

Aschenputtelfluch

Titel: Aschenputtelfluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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unternehmen, sonst würde Indi uns nicht bemerken.
    Mein Blick fiel auf einen der Dachziegel aus Schiefer. Ohne lange zu zögern, griff ich mit der rechten Hand da nach, während meine linke sich am Holzturm festklam merte.
    »Was machst du?«
    Ich beachtete sie nicht. »Das Scheißding sitzt fest! Hilf mir!«
    »Ich kann nicht!«
    »He«, brüllte ich. »Du hast diesem ekelhaften Vogel die Kehle durchgeschnitten! Mit deinen eigenen Händen! Fuck! Erzähl mir jetzt nicht, dass du das nicht kannst!«
    Ich spürte ihre Hand neben meiner.
    »Zieh!«
    Der Ziegel bewegte sich leicht.
    »Noch mal!«
    »Au«, Sonja schrie auf. »Ich habe mich geschnitten! Oh Gott, das tut weh!«
    Keine Zeit für Mitleid!
    »Besser, als wenn du tot wärst.«
    Gemeinsam rissen wir an der Platte. Von der Wucht, mit der sie sich schließlich aus der Verankerung löste, wurde ich zurückgeschleudert. Die Finger meiner linken Hand öffneten sich und einen Moment später ließ ich los.
    »Pass auf!«, schrie Sonja.
    Es war zu spät, ich rutschte nach unten. Mein Kopf schlug gegen das Dach.
    Die Dachrinne, dachte ich noch, sie wird nicht halten!

KAPITEL 23
    I ch lag auf dem Bauch auf dem Dach, wagte nicht, mich zu bewegen. Bei jeder Bewegung krachte und schepperte die Dachrinne. Es regnete mittlerweile noch heftiger – die Tropfen prasselten laut unter mir gegen die Regenrinne – , ich stellte mir vor, wie ich einfach weggespült wurde.
    Nur noch schlafen!
    Das war mein einziger Wunsch.
    Denn es musste ja ein Albtraum sein, in dem ich mich be fand. Es konnte nicht anders sein. Ein ziemlich schreckli cher, aber nichts als ein Traum.
    Ich vergaß Sonja.
    Vergaß alles, was geschehen war.
    War müde.
    Schrecklich müde.
    Dann dieser Wunsch, fliegen zu können. Vielleicht, schoss mir durch den Kopf, kannst du es. Du musst aufste hen, dich an den Rand stellen und einfach springen.
    Einfach sich in die Luft erheben wie die Raben. Doch da zu musste ich aufstehen. Mich erheben. Nur ein Schritt und . . .
    Weil WIR entscheiden!
    Weil wir mit der Schwerkraft spielen.
    Ich zog den rechten Fuß an und verlagerte das Gewicht auf den linken. Die Dachrinne schwankte leicht unter mir.
    »Beweg dich nicht!« Sonjas Stimme holte mich zurück in die Wirklichkeit. »Er holt Hilfe!«
    Ich hob den Kopf. Oh verdammt, der stand unter Span nung! Jeden Moment konnte er platzen! Ich sah seine Ein zelteile durch die Luft fliegen wie Scherben.
    Sonja saß unterhalb des Glockenturmes.
    Ich starrte sie verständnislos an.
    Wovon sprach sie? Wer holte Hilfe?
    »Indi! Er hat uns hier oben gesehen. Mann, der Ziegel ist mit einer Wucht neben ihm aufgeschlagen, ich dachte schon, das überlebt er nicht.«
    Dieses Mädchen hatte Gefühlsschwankungen, dagegen war eine normale Pubertät nicht schlimmer als ein leichter Schnupfen. Und sie konnte nicht aufhören zu reden, ob wohl ihre Zähne klapperten. »Du warst ohnmächtig! Ich dachte, du wärst tot!«
    Quatsch, wollte ich sagen, als es erneut krachte. Die Dachrinne!
    Und in diesem Moment wurde es mir erst so richtig be wusst. Mein Leben hing an einem seidenen Faden, sprich, ich stand mit einem Fuß auf einem Stück Blech und ich konnte nur hoffen, dass die Dachrinne seit Erbauung des Klosters im 14. Jahrhundert nach Christi Geburt erneuert worden war. Bildete ich es mir ein oder krächzten tatsächlich Raben direkt in meiner Nähe? Verkündeten sie meinen Tod?
    Mann, so etwas gab es nur in Filmen. Da stolperten Schauspieler in Löwengruben, stürzten über Felsklippen, hingen an Fenstersimsen. Immer hatte ich bei solchen Szenen gedacht: Du Idiot! Hättest du dir doch denken können! Hast du das Drehbuch nicht gelesen? Gehst du nie ins Kino?
    Nie, niemals im Leben hätte ich gedacht, dass mir so et was geschehen konnte. He, ich war Miss IQ, Miss Klug scheißer! Von wegen! Ich war ein normales Mädchen, des sen Leben auf die Stabilität einer Dachrinne angewiesen war. Da zählte nur Glück! Sogar für Einstein!
    Ich wagte nicht, mein Gewicht auf den rechten Fuß zu verlagern, stattdessen krallten sich die Finger in die Rit zen zwischen den Dachziegeln.
    Ruhig bleiben, murmelte ich, lieber Gott, ruhig bleiben.
    Vielleicht war Gott noch irgendwo hier an diesem Ort, der schließlich vor mehr als sechshundert Jahren ihm zu Ehren erbaut worden war. Wenn du mir hilfst, dann ...ja, was? Mir fiel kein anderes Versprechen ein, als mich nie wieder über die Ängste und Sorgen meiner Oldies aufzu regen. Ich würde sie lieben und ehren, bis der
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