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Aschenputtelfluch

Aschenputtelfluch

Titel: Aschenputtelfluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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Wasser durch die Dachziegel in mehrere Eimer. Der Dachstuhl war in keinem guten Zustand.
    Und nun?
    Wie kam ich von hier aus aufs Dach?
    Ich hätte eine Figur aus einem Computerspiel sein kön nen – ferngesteuert durch einen einfachen Mausklick be wegte ich mich über den Holzsteg, der über die Tiefe führ te, und steuerte direkt auf die Metallleiter zu, die hoch zur Dachluke führte, durch die ebenfalls Regen tropfte. Ich setzte den Fuß auf und begann, vorsichtig nach oben zu klettern. Je höher ich stieg, desto mehr schaukelte die Lei ter. Ich wagte nicht, nach unten zu sehen. Einige Sprossen waren verrostet. Ich fürchtete, sie könnten bei der gering sten Belastung durchbrechen.
    Dann war ich oben.
    Okay, nun musste ich irgendwie von der Leiter aufs Dach kommen.
    Ich streckte den Arm aus und meine Hand griff nach draußen, hielt sich krampfhaft an den nassen Dachziegeln fest – und rutschte sofort ab.
    Noch einmal.
    Verzweifelt suchten meine Finger Halt, klammerten sich am Fensterrahmen fest, dessen morsches Holz in meine Handfläche schnitt. Ich ignorierte den Schmerz und zog mich nach oben, bis ich in der Luft hing. Meine Füße be rührten die oberste Sprosse nicht mehr.
    Es war so ziemlich der unpassendste Moment, aber mir schoss der Gedanke durch den Kopf: Was machst du hier eigentlich?
    Denk mal darüber nach!
    Na ja, ich hing im Dachstuhl der Kirche von Ravenhorst.
    Entsetzlich, haarsträubend, wahnsinnig!
    Warum? Warum?
    Weil du vielleicht schuld bist, wenn Indi springt, sagte ich mir. Du hast ihn für Kiras Tod verantwortlich ge macht . . . und wenn er sie wirklich geliebt hat, dann . . .
    Lieber Gott, der du einmal hier in diesem Gebäude ge wohnt hast, hilf mir . . . Bitte, bitte hilf mir!
    Reiß dich zusammen, Jule, noch bist du nicht tot.
    Kiras Tod darf sich nicht wiederholen ...Du bist für sie verantwortlich.
    Bin ich nicht!
    Doch!
    Ich konzentrierte mich, verscheuchte alle Zweifel. Es gab kein Zurück. Mit aller Kraft zog ich mich weiter nach oben und konnte es nicht glauben:
    Geschafft!
    Ich hatte es geschafft!
    Ich ruhte mich für einige Sekunden aus, bis meine Hän de nach einem Widerstand suchten und ich mich nach vor ne zog, bis mein ganzer Körper auf dem Dach lag.
    Jetzt erst stützte ich mich auf und sah mich um.
    Circa vier Meter entfernt ragte der Holzturm in den Him mel, in dem die beiden Glocken noch leicht hin und her schwangen und zu den letzten Schlägen ausholten, die nach und nach verhallten.
    Doch ich konnte niemanden sehen.
    Hatte ich mir den roten Fleck nur eingebildet? War Indi gar nicht hier oben?
    Ich keuchte noch immer von der Anstrengung und blieb für ein paar Minuten einfach platt auf dem Bauch liegen, doch irgendwann rappelte ich mich hoch.
    Ein kalter Wind trieb mir den Regen ins Gesicht, die Zie gel waren rutschig vor Nässe. Ich starrte nach unten, bis mir schwarz vor den Augen wurde.
    Der Innenhof lag in totaler Stille da. Niemand war zu se hen.
    Sitzend rutschte ich Zentimeter für Zentimeter nach oben.
    »Indi!«
    Der Wind trug meine Stimme fort.
    »Indi!«
    Und dann hörte ich jemanden weinen.
    Indi?
    Ich lehnte mich zurück und versuchte zu erkennen, wo her das Geräusch kam.
    Auf der Rückseite des Glockenturms blitzte etwas Rotes auf.
    Ich lehnte mich zurück!
    Ich hatte mich getäuscht.
    Nicht Indi saß dort, sondern . . . Sonja!
    Sonja mit der Höhenangst, Sonja mit ihrer roten Strick jacke, die sie auch am ersten Tag getragen hatte!
    Ihre Augen glänzten vor Angst und ihr Gesicht war lei chenblass. Eine Schramme zog sich über die linke Wange, von der Blut tropfte. Ihre Kleider waren total durchnässt. Sie zitterte am ganzen Körper vor Kälte.
    »Hier bin ich!«, schrie sie.
    »Bleib ruhig sitzen, beweg dich nicht! Ich komme!«
    Ich schob mich weiter nach links. Jedes Mal wenn ich in den Raum zwischen den Schieferplatten fasste, schnitten deren scharfen Kanten in die Hand, während ich gleichzei tig auf Sonja einsprach. Woher die Worte kamen? Keine Ahnung! Ich sagte einfach alles, was mir einfiel.
    Alles wird wieder gut! Du wirst sehen. Wir finden eine Lösung.
    Meine Stimme hörte sich inzwischen an wie das Ge krächze der Raben, die sich auf dem Dachfirst versammelt hatten. Dicke schwarze Gaffer, die meinen Bewegungen mit neugierigen Blicken folgten, als handele es sich um Reality-TV. Doch ich ließ mich von ihnen nicht aus der Ru he bringen. Jetzt nicht!
    »Halte dich fest! Ich bin gleich bei dir!«
    Ich bewegte mich langsam weiter und war nur
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