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Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition)
Autoren: Nora Miedler
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Rolle der Schuldigen akzeptiert. Ich könnte nicht sagen, welche ihrer Töchter Mama mehr Kummer bereitete. Die eine, die es im Leben zu nichts gebracht hatte und ihrer Mutter stets vor Augen führte, dass sie in der Erziehung versagt haben musste. Oder aber die andere, deren Attraktivität und beruflicher Erfolg ein Mahnmal waren für all das, was ihrer Erzeugerin niemals gegönnt war.
    Was hatte sie uns nicht alles mit diesen unsinnigen Vornamen mitgeben wollen. Thaddäa, das sollte für Stolz stehen. Für Eleganz und Überlegenheit. Hatte ja super geklappt. Und meine Schwester Tirza sollte Schönheit und Phantasie mit auf den Lebensweg bekommen. Gut, schön war sie ohne jeden Zweifel. Aber so phantasievoll wie Fräulein Rottenmeier. Dafür hatte sie einen Doktortitel. Und dokterte tatsächlich an den Seelen anderer Menschen herum.
    Und ich wusste, ich musste sie heute Abend noch anrufen. 3 verpasste Anrufe stand anklagend auf dem Display meines Handys. Und darunter Tissi . Die ersten beiden waren von 19:10. Der letzte von 19:11. Typisch Tissi.
    »Hallo, du«, begrüßte sie mich.
    »Hallo, Tissi«, grüßte ich zurück.
    »Du warst ja unerreichbar heute Abend. Und dein Rückruf kommt auch reichlich spät.«
    »Tut mir leid, ich hatte das Handy auf lautlos.« Mist. Wann würde ich endlich aufhören, mich automatisch für alles zu entschuldigen? »Was wolltest du denn, Tissi?«
    »Wäre es ein Notfall gewesen, wäre ich jetzt bestimmt schon tot. So spät, wie du zurückrufst.«
    Sie wurde immer mehr wie Mama. Und genau das hätte ich ihr sagen sollen. Sicher, sie hätte sich den nächsten Besen geschnappt und wäre zu mir geflogen, um mich zu vierteilen, denn nichts, aber auch gar nichts fürchtete Tissi so sehr, wie irgendwann zu werden wie Mama. Doch sie wurde es. O Gott, hoffentlich werde ich nicht auch noch so, durchfuhr es mich.
    »… nennen. Okay?«
    »Okay«, wiederholte ich mechanisch.
    »Also, wie sollst du mich nennen?«
    »Ähhh …«
    »Hast du mir nicht zugehört?«
    »Doch!«
    »Na, dann sag!«
    Ich hielt die Luft an. Ach, es half ja doch nichts. »Kannst du mir bitte nochmal sagen, was ich sagen soll?«
    Sie explodierte. »Als Strafe sollte ich einfach das Gespräch beenden und dir nie sagen, was ich vorhin gerade gesagt habe!«
    Und was genau wäre daran die Strafe?
    »Bitte Tissi …«
    »Exakt darum geht es«, zeterte sie. »Tira heiße ich ab heute! Tira! Das habe ich dir vorhin gesagt. Tissi ist gestorben. Tira ist geboren!«
    Sie beendete das Gespräch und machte damit den angenehmsten Teil ihrer Drohung wahr. »Tira«, murmelte ich. Ob ich mich beim nächsten Telefonat wohl trauen würde, nach dem Grund der Namensänderung zu fragen?
    Ich schlüpfte aus dem Leinenkleid und warf es auf mein Bett. Ich schälte mich aus den Miederhöschen, aus dem unbequemen Bügel-BH und zog mir ein übergroßes T-Shirt an, das mir fast bis zu den Knien reichte. Es war so heiß, dass ich ohne weiteres nackt hätte herumlaufen können, doch hatte ich Angst, dass Greenpeace sofort die Wohnung stürmen würde: »Ein Wunder! Moby Dick lebt! Los, zurück ins Meer mit ihm!«
    Das Schlafzimmer sah ähnlich farblos aus wie ich. Noch. Irgendwann würde ich es ozeanblau streichen. Und über das Bett käme ein rotes Boot mit weißem Segel. Ich liebte das Meer. Jedes Meer auf der Welt. Und irgendwann würde ich ein echtes Meer sehen, es war mir ganz egal, welches.
    Das Wohnzimmer war jetzt schon sonnengelb gestrichen. Mama fand, dass es aussah, als hätte ein Drogensüchtiger meine Wände vollgepinkelt. Und mein Sofa nannte sie Kommunistencouch, weil es rot war. Sie setzte sich nie darauf.
    Umso genüsslicher ließ ich mich jetzt drauffallen. Im Fallen griff ich nach der Fernbedienung, und noch bevor mein Körper die Kommunistencouch berührte, hatte ich schon den Fernseher eingeschaltet. Das waren so die kleinen Tricks, die ich beherrschte.
    Mein Zeigefinger zappte durch die Kanäle. Doku, Wirtschaftsjournal, zwanzigste Wiederholung von Scrubs, zweihundertste Wiederholung von den Simpsons, die gleiche Southpark-Folge wie gestern Nacht und vorgestern Nacht, Discovery Channel – mein Finger stoppte, als ich die beiden Löwen sah. Mein Gott, das war … okay, die war jetzt eindeutig keine Jungfrau mehr … das musste echt wehtun  … Ich kniff die Augen zusammen, zappte weiter.
    Neue Protagonisten, neue Kulisse, gleiche Tätigkeit. Eigentlich brauchte ich nicht mehr hinzusehen. Ich wusste genau, was da ablief.
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