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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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ich keinen Finger krumm.«
    »Ich bin nicht einverstanden!« sagte die Mutter heftig.
    »Wir geben unsere Zustimmung nicht!« fügte die Oma hinzu.
    »Nun, wie ihr wollt«, sagte ich dumpf und dachte dabei: So, das war’s! Um so besser für mich. Ich habe es gesagt und vorgeschlagen, und die Hebammen reißen erstaunt die Augen auf. Die beiden Frauen haben abgelehnt, und ich bin gerettet. Kaum hatte ich dies gedacht, als ein anderer statt meiner mit fremder Stimme sagte:
    »Was ist los, habt ihr den Verstand verloren? Wie könnt ihr das ablehnen? Ihr bringt das Mädchen um. Stimmt zu. Tut sie euch nicht leid?«
    »Nein!« rief die Mutter wieder.
    Im stillen dachte ich: Was mache ich da? Ich werde das Mädchen zu Tode schneiden. Aber ich sagte etwas anderes:
    »Los, schneller, entscheidet euch! Stimmt zu! Bei dem Kind werden ja schon die Nägel blau.«
    »Nein! Nein!«

    »Nun, wie ihr wollt. Bringt sie ins Krankenzimmer, sollen sie dort sitzen.«
    Die beiden Frauen wurden durch den halbdunklen Korridor geführt. Ich hörte sie weinen und das Mädchen winseln. Der Feldscher kehrte sogleich zurück und sagte:
    »Sie sind einverstanden!«
    Ich wurde innerlich zu Stein, doch ich sagte deutlich:
    »Sofort Messer, Schere, Haken und Sonden sterilisieren!«
    Gleich darauf lief ich über den Hof, wo dämonisch der Schneesturm brauste und zerrte, eilte in mein Zimmer, griff, die Minuten zählend, nach dem Buch, blätterte, fand die Zeichnung des Luftröhrenschnitts. Auf der Zeichnung war alles klar und einfach: Der Hals ist geöffnet, das Messer dringt in die Luftröhre ein. Ich las den Text, doch ich begriff nichts, die Worte hüpften mir vor den Augen. Noch nie hatte ich gesehen, wie der Luftröhrenschnitt gemacht wird. Ach was, jetzt ist es zu spät, dachte ich, blickte wehmütig auf die blaue Farbe der bunten Zeichnung und fühlte eine schwere, schreckliche Last sich auf mich wälzen. Ohne den Schneesturm zu bemerken, kehrte ich ins Krankenhaus zurück.
    Im Sprechzimmer heftete sich ein Schatten mit runden Röcken an mich, und eine Stimme ningelte:
    »Väterchen, willst du dem Kind wirklich die Kehle aufschneiden? Geht denn das überhaupt? Das dumme Weib hat zugestimmt. Aber ich bin nicht einverstanden, nein. Mit Tropfen kannst du sie heilen, aber die Kehle aufschneiden, das laß ich nicht zu.«
    »Schafft die Oma raus!« brüllte ich und fügte heftig hinzu: »Du bist ein dummes Weib! Du selber! Sie ist klug! Und überhaupt, dich hat keiner gefragt! Schafft sie raus!«
    Die Hebamme legte der Oma fest den Arm um die Schulter und schob sie aus dem Zimmer.
    »Fertig!« sagte der Feldscher.
    Wir betraten den kleinen Operationsraum, und ich sah wie durch einen Schleier die funkelnden Instrumente, die
blendhelle Lampe, das Wachstuch… Noch einmal ging ich hinaus zu der Mutter, der wir das Mädchen kaum entreißen konnten. Ich hörte ihre heisere Stimme:
    »Mein Mann ist nicht da. Er ist in der Stadt. Wenn er zurückkommt und erfährt, was ich angerichtet habe, bringt er mich um.«
    »Er bringt sie um«, echote die Oma und sah mich entsetzt an.
    »Laßt sie nicht in den Operationsraum!« befahl ich.
    Wir blieben im Operationsraum allein. Das Personal, ich und Lidka, die kleine Patientin. Nackt saß sie auf dem Tisch und weinte lautlos. Wir legten sie hin, drückten sie nieder, wuschen ihr den Hals und rieben ihn mit Jod ab. Ich nahm das Messer, dabei dachte ich: Was mache ich da? Im Operationsraum war es sehr still. Ich nahm das Messer und zog einen vertikalen Schnitt über den rundlichen Hals. Nicht ein Tropfen Blut trat aus. Noch einmal zog ich das Messer durch den weißen Streifen der klaffenden Haut. Wieder kein Tröpfchen Blut. Langsam, bemüht, mich an die Zeichnungen im Atlas zu erinnern, teilte ich mit einer stumpfen Sonde die zarten Gewebe. Da schoß auf einmal dunkles Blut aus der Wunde, überströmte im Nu den ganzen Schnitt und floß den Hals hinunter. Der Feldscher wischte es mit Tupfern weg, doch es floß immer weiter. Ich erinnerte mich an alles, was ich auf der Universität gesehen hatte, und klemmte die Wundränder ab, doch es half nichts.
    Mir wurde kalt, die Stirn bedeckte sich mit Schweiß. Ich bereute heftig, jemals die medizinische Fakultät bezogen zu haben und dann in diese Einöde gegangen zu sein. Mit wütender Verzweiflung setzte ich auf gut Glück die Klemme am unteren Wundwinkel an und klemmte sie zu, und sofort hörte das Blut auf zu fließen. Wir saugten die Wunde mit Mulläppchen trocken, und nun
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