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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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Blut. Ich klemmte die Ader ab und machte weiter. Überall, wo ich Adern vermutete, setzte ich Klemmen an. Arteria …, arteria …, verdammt, wie heißt sie noch? Der Operationsraum glich dem einer Klinik. In schweren Trauben hingen die Klemmen heraus. Mit Hilfe von Mull wurden sie samt dem Fleisch aufwärts gedrückt, und nun ging ich daran, mit einer spiegelblanken, kleinzähnigen Säge den freigelegten runden Knochen durchzusägen. Daß sie nicht stirbt? Erstaunlich … Oh, wie zählebig ein Mensch doch ist!
    Der Knochen fiel ab. In Demjan Lukitschs Händen verblieb, was einmal ein Mädchenbein gewesen. Fleischfetzen und Knochensplitter! All das wurde beiseite geworfen, und nun lag auf dem Operationstisch ein junges Mädchen, gleichsam um ein Drittel verkürzt, mit zur Seite gebogenem Stumpf. Warte noch ein bißchen, stirb nicht, dachte ich flehentlich. Halt aus, bis du im Bett liegst, laß
mich wohlbehalten herauskommen aus diesem entsetzlichen Vorfall in meinem Leben.
    Die Gefäße wurden abgebunden, dann nähte ich mit großen Stichen die Haut fest … doch ich hielt wieder inne und legte, einer Eingebung folgend, ein Drain, das ich mit einem Mulltupfer verschloß. Der Schweiß floß mir in die Augen, und ich hatte ein Gefühl, als wäre ich im Dampfbad.
    Ich verschnaufte. Warf einen schweren Blick auf den Stumpf und das wächserne Gesicht.
    »Lebt sie?« fragte ich.
    »Sie lebt«, flüsterten der Feldscher und Anna Nikolajewna. »Sie wird schon noch ein Minütchen leben«, raunte mir der Feldscher lautlos, nur mit den Lippen ins Ohr. Dann stockte er und riet mir taktvoll: »Das andere Bein sollten Sie vielleicht so lassen, Doktor. Wissen Sie, wir wickeln Mull herum, sonst schafft sie es nicht bis zum Bett. Was meinen Sie? Immer noch besser, wenn sie nicht auf dem Operationstisch stirbt.«
    »Bringt Gips«, antwortete ich heiser, von einer unbekannten Kraft gedrängt.
    Der ganze Fußboden war weiß bekleckert, wir alle schwitzten. Das halbtote Mädchen lag reglos. Das rechte Bein war eingegipst, und an der Bruchstelle des Unterschenkels klaffte ein Fensterchen, das ich in einer Eingebung offengelassen hatte.
    »Sie lebt«, krächzte der Feldscher verwundert.
    Nun wurde sie aufgehoben, unter dem Laken zeichnete sich eine gigantische Einbuchtung ab – ein Drittel ihres Körpers blieb im Operationssaal zurück.
    Schatten bewegten sich im Korridor, die Nachtschwestern huschten hin und her, und ich sah eine zerzauste Männergestalt unter trockenem Geheul die Wand entlangschleichen. Sie brachten den Mann hinaus. Es wurde still.
    Ich wusch mir im Operationssaal die bis zum Ellbogen blutigen Arme.

    »Doktor, Sie haben wohl schon viele Amputationen gemacht?« fragte plötzlich Anna Nikolajewna. »Sehr, sehr gut. Nicht schlechter als Leopold …«
    Aus ihrem Mund klang das Wort »Leopold« immer wie »großer Meister«.
    Unter gesenkten Brauen hervor blickte ich in die Gesichter. Sowohl in Demjan Lukitschs als auch in Pelageja Iwanownas Augen sah ich Respekt und Verwunderung.
    »Hm … ich … Sehen Sie, erst zwei …«
    Warum habe ich gelogen? Das ist mir heute unbegreiflich. Das Krankenhaus wurde still. Ganz still.
    »Wenn sie stirbt, holt ihr mich sofort«, befahl ich halblaut dem Feldscher, und er antwortete nicht »gut«, sondern respektvoll: »Zu Befehl.«
    Ein paar Minuten darauf saß ich neben der grünen Lampe im Arbeitszimmer der Arztwohnung. Das Haus schwieg.
    Mein bleiches Gesicht spiegelte sich im tiefschwarzen Fensterglas. Nein, ich bin kein falscher Demetrius, und sehen Sie, ich bin irgendwie gealtert. Die Falte über der Nasenwurzel … Gleich wird man klopfen und sagen: Sie ist tot …
    Ja, ich gehe hin und sehe sie mir noch einmal an … Gleich klopft es …
     
    Es klopfte. Zweieinhalb Monate später. Draußen glänzte einer der ersten Wintertage.
    Er trat ein.
    Erst jetzt sah ich ihn mir genauer an. Ja, er hatte wirklich regelmäßige Gesichtszüge. War etwa fünfundvierzig Jahre alt. Die Augen strahlten.
    Dann raschelte es … auf zwei Krücken humpelte ein einbeiniges junges Mädchen von bezaubernder Schönheit herein, sie trug einen weiten Rock mit rotem Bortensaum.
    Sie blickte mich an, ein rosiger Hauch stieg ihr in die Wangen.
    »In Moskau … in Moskau …« Ich schrieb die Adresse auf. »Dort macht man Ihnen eine Prothese, ein künstliches Bein.«

    »Küsse ihm die Hand«, sagte plötzlich der Vater.
    Ich war so verwirrt, daß ich ihr statt der Lippen die Nase
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