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Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst

Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst

Titel: Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Autoren: Bernard Cornwell
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bessere kann ich mir nicht leisten; heute abend werde ich die Gaben in den Schatten neben der Feuerstelle legen und in meine Klosterzelle zurückkehren, um die Toten willkommen zu heißen, die in dieses kalte Haus auf dem kahlen Hügel kommen.
    Ich werde die Toten aufzählen. Ceinwyn, Guinevere, Nimue, Merlin, Lancelot, Galahad, Dian, Sagramor; die Liste würde zwei Pergamente füllen. So viele Tote. Ihre Schritte werden weder eine Binse auf dem Fußboden zerdrücken noch die Mäuse erschrecken, die im Reetdach des Klosters hausen; aber selbst Bischof Sansum weiß, daß unsere Katzen einen Buckel machen und aus den hintersten Winkeln der Küche fauchen werden, wenn die Schatten, die keine Schatten sind, an unsere Herdstelle treten und die Gaben an sich nehmen, die sie davon abhalten, Unheil zu wirken.
    Deswegen denke ich heute an die Toten.
    Ich bin jetzt alt, möglicherweise so alt, wie Merlin damals war, wenn auch bei weitem nicht so weise. Bischof Sansum und ich sind, glaube ich, die einzigen Menschen aus der großen Zeit, die noch am Leben sind, und ich allein erinnere mich voll Freude daran. Möglich, daß auch einige andere noch leben. In Irland vielleicht, oder im Ödland nördlich von Lothian, aber mir ist nichts davon bekannt. Ich weiß nur so viel: Falls einige andere noch leben sollten, dann verkriechen sie sich vor der hereinbrechenden Dunkelheit wie ich und wie die Katzen, die sich vor den Schatten dieser Nacht fürchten. Alles, was wir liebten, wurde vernichtet, alles, was wir bauten, niedergerissen, und alles, was wir säten, von den Sachsen geerntet. Wir Britannier klammern uns an die hohen, westlichen Lande und sprechen von Rache, aber ein Schwert, das gegen eine allumfassende Finsternis kämpft, gibt es nicht. Hin und wieder
    – dieser Tage viel zu oft – wünsche ich mir nur noch, bei den Toten zu sein. Bischof Sansum heißt diesen Wunsch gut und sagt mir, es sei richtig, daß ich mich danach sehne, zur Rechten Gottes im Himmel zu sitzen, aber ich glaube kaum, daß ich in den Himmel der Heiligen kommen werde. Ich habe viel zuviel gesündigt und fürchte deswegen die Hölle, hoffe gegen meinen christlichen Glauben jedoch, daß ich statt dessen in die Anderwelt komme.
    Denn dort, unter den Apfelbäumen des viertürmigen Annwn, erwartet mich eine Tafel, überhäuft mit Speisen und umdrängt von den Schattenleibern all meiner alten Freunde. Merlin wird dort schwatzen, belehren, grollen und spötteln. Galahad wird ihn ungeduldig unterbrechen, und Culhwch, von so viel Gerede gelangweilt, wird sich eine dicke Portion Rindfleisch stibitzen und glauben, daß es niemand bemerkt. Und Ceinwyn wird dort sein, meine geliebte, schöne Ceinwyn, um den Aufruhr zu besänftigen, der von Nimue ausgelöst wurde.
    Aber ich bin noch immer mit dem Fluch des Odems geschlagen. Ich lebe, während sich meine Freunde laben, und solange ich lebe, werde ich an diesem Bericht über Arthur schreiben. Ich schreibe ihn auf Geheiß von Königin Igraine, der jungen Gemahlin König Brochvaels von Powys und Schutzherrin unseres kleinen Klosters. Da Igraine alles über Arthur zu erfahren verlangt, woran ich mich erinnern kann, begann ich diesen Bericht niederzuschreiben, doch Bischof Sansum mißbilligt meine Arbeit. Arthur sei der Feind Gottes, sagt er, eine Ausgeburt des Teufels. Deswegen schreibe ich den Bericht in meiner sächsischen Muttersprache nieder, deren der Heilige nicht mächtig ist. Igraine und ich haben dem Heiligen erklärt, daß ich das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus in der Sprache der Feinde aufschreibe, und es kann sein, daß er uns glaubt; aber vielleicht wartet er nur ab, bis er uns diese Lüge nachweisen und mich dafür bestrafen kann.
    Ich schreibe jeden Tag. Igraine kommt immer wieder ins Kloster, um zu beten, Gott möge ihrem Leib die Gnade einer Schwangerschaft schenken, und wenn sie mit ihren Gebeten fertig ist, nimmt sie die fertigen Pergamente mit und läßt sie von Brochvaels Gerichtsschreiber ins Britannische übersetzen. Ich glaube, daß sie den Bericht dabei ein wenig abändert, damit er Arthur so zeigt, wie sie ihn sich wünscht, statt so, wie er wirklich war – aber vielleicht spielt das keine Rolle, denn wer wird diesen Bericht je lesen? Ich gleiche einem Mann, der eine Wand aus Lehm und Flechtwerk errichtet, die einer unmittelbar bevorstehenden Flut widerstehen soll. Die Dunkelheit wird sich herabsenken, in der kein Mensch mehr liest. Dann wird es nur noch Sachsen geben.
    Also schreibe ich
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